Dossier: Covid-19

Corona-Krise im Pflegeheim: intensiv, herausfordernd – und schön

Vom offenen Haus zum isolierten Risikoareal: Auch wenn im Pflegeheim Pflegimuri bisher kein COVID-19-Fall aufgetreten ist, hält das Coronavirus dort alle auf Trab. Die Hygieneverantwortliche Manuela Joller findet aber: In den letzten Wochen war auch vieles gut.

Text: Katharina Rilling; Fotos: Marco Rosasco

Manuela Joller, als Hygieneverantwortliche waren Sie sicher gefragt in den letzten Wochen der Corona-Krise?

Manuela Joller: Es war streng, intensiv und herausfordernd. Rückblickend weiss ich gar nicht, wie wir das alles geschafft haben! Aber es ging, weil jeder Bereich viel Einsatz geleistet hat.

Wie hat sich Ihre Arbeit in den letzten Wochen verändert?

Wir haben eine Task Force gegründet. Zum Glück konnten wir auf ein gutes Hygienekonzept zurückgreifen. Noroviren und Grippewellen sind schliesslich immer ein Thema. Aber es wurden auch neue Massnahmen ergriffen: mehr Desinfektionsmittelspender für die Hände aufgestellt und alle Mitarbeitenden stark auf Handhygiene sensibilisiert. Wir mussten viel organisieren: Es wurde etwa von Privat- auf Berufskleider umgestellt, wir erarbeiteten Merkblätter, führte viele Gespräche. Teams wurden gesplittet, zum Beispiel in der Wäscherei. Das Restaurant wurde geschlossen. Neben der Hygiene bin ich für den medizinischen Einkauf zuständig. Die Beschaffung von Schutzmaterial, Hände- und Flächendesinfektionsmittel war sehr aufwendig. Weil wir gut vernetzt sind, hatten wir aber immer genügend Material.

Welche Massnahmen waren besonders schmerzhaft?

Die Menschen, die hier leben, können kaum noch an der Gesellschaft teilhaben. Deshalb holen wir die Aussenwelt ins Haus: Unser Restaurant ist normalerweise für alle geöffnet und es finden viele Veranstaltungen statt. Plötzlich ging das alles nicht mehr. Das Heim schrittweise zuzumachen – bis zum Besuchsverbot – war sehr schwierig. Die Bewohner hat das auch stark beschäftigt. Das Distanzhalten macht einfach Mühe. Wir haben etwa die Essenstische auf den Wohngruppen verteilt, manche essen jetzt halt auf dem Gang. Aber insgesamt geht es den meisten erstaunlich gut.  

Erleben Senioren Krisen anders als Junge?

Der Mensch gewöhnt sich allgemein schnell an neue Situationen. Alte Menschen haben zudem noch einen ganz anderen Fundus an Strategien, um auf Krisen zu reagieren. Sie haben in ihrem langen Leben persönliche Tiefschläge, vielleicht den Zweiten Weltkrieg und die Maul- und Klauenseuche, erlebt. Auch, wenn diese Situation nun neu ist: Viele können sich gut in etwas hineinschicken, das sie nicht ändern können. Und Verzicht halten sie aus. Man konnte diese Krisenerprobtheit gut spüren.

Hatten die Bewohner Angst vor COVID-19?

Teilweise. Viele sind zu Beginn stiller geworden. Am runden Tisch hörte ich aber auch eine Bewohnerin sagen, sie habe keine Angst – im Gegenteil, es wäre für sie eine gute Gelegenheit zu gehen. Allerdings war sie dann die Erste, die vor lauter Lebensfreude einen Termin beim Coiffeur gemacht hat (lacht). Wie und wann man sterben möchte – solche Gespräche sind im Pflegeheim immer ein Thema. Das Virus hat diese Diskussionen einfach verstärkt.

Ein Grossteil der Bewohner und Bewohnerinnen hätte bei einer Infektion wohl nicht ins Spital gewollt. Wir alle hatten diese schrecklichen Bilder aus Italien im Kopf. Gleichzeitig aber auch die Motivation, das Beste aus der Situation zu machen. Darum haben wir die Kreativität gefördert. Das hat viel Frust abgefedert.

Erzählen Sie!

Es geht ja nicht nur um Hygienestandards oder um gute Pflege, sondern auch um Förderung und darum, den Alltag zu leben. Wir haben also Beschäftigungen gesucht, denen man auf Distanz nachgehen kann: Schnell wurde der TV-Kanal «Tele pflegimuri» aufgegleist. Die Turnstunde mit Rita wurde jetzt am Fernsehen ausgestrahlt. Oder Homestorys wurden gefilmt, zum Beispiel vom Direktor und dem Seelsorger. Auch den Gottesdienst und Reiseberichte kann man über den TV-Kanal verfolgen. Und über das Wunschkonzert darf man sich nun Songs wünschen.

Kreative Mitarbeitende, Bewohnerinnen, Angehörige, sie alle haben etwas beigetragen: Der Gärtner verteilte spontan Blumen. Dafür haben die Bewohner selbst Vasen gefertigt. Die Küche hat Schoggikuchen mit Mutmacher-Briefli verschenkt. Es gab rührende Geburtstagsständchen im Park bei offenen Fenstern und Korbaufzüge mit kleinen Geschenken darin. Auf unserer Webseite lassen sich die feinen Geschichten aus unserem Corona-Alltag unter «Good News» nachlesen.

Dies alles haben Sie und Ihre Kollegen zusätzlich zum sowieso schon strengen Alltag gestemmt.

Wenn es einem wichtig ist, dass die Menschen hier noch ein erfülltes Leben haben, dann ist der Einsatz nicht nur streng, sondern auch eine Bereicherung. Er gibt Kraft. Unsere Botschaft für alle war: Es ist eine schwierige Zeit, sie ist gar nicht lustig, aber sie ist auch nicht nur schlecht. Das Leben geht weiter, bloss ausharren bringt nichts. Was ich immer wieder höre, ist, dass Bewohnerinnen und Bewohner sehr froh darüber sind, in einem Heim leben zu dürfen. Andere sind jetzt wirklich in ihren eigenen vier Wänden isoliert.

Konnten die Bewohnerinnen und Bewohner Kontakt zu ihren Angehörigen halten?

Ja, es wurden viele Wege gefunden: Gespräche über die Fensterbank geführt, Postkarten verschickt, viel telefoniert. Aber auch Skype, Facetime & Co. wurden genutzt, etwa über unsere iPads. Was mich gefreut hat: Heute werden die Wohngruppen ihrem Namen gerecht. Weil die Leute weniger physischen Kontakt zu ihren Familien hatten, haben sie sich viel stärker füreinander interessiert. Das Coronavirus hat eine neue Dynamik geschaffen. Aber es wurde jetzt doch Zeit, dass man – in geschütztem Rahmen – wieder Besucher empfangen kann. Die Freude ist riesig.

Hier können Sie die schönen, lustigen und inspirierenden
Corona-Geschichten aus der Pflegimuri in Tagebuchform nachlesen.

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