Dossier: Covid-19

Grundmüde, aber optimistisch

Wenn Corona-Patienten aus dem Koma erwachen, sind sie oft verängstigt und überfordert. Regula Rigort arbeitet auf der Intensivstation im Kantonsspital Graubünden und hat in den letzten Wochen versucht, Sicherheit zu geben – den Kranken, den Angehörigen und sogar den Kollegen.

Text: Katharina Rilling; Street Art: the rebel bear; Photo: Colin D. / Unsplash

Aufwachen und nichts verstehen. Nicht, wo man ist und nicht, was passiert. Warum gerade jetzt niemand da ist. Kein Partner, keine Tochter, kein Bruder. Bloss: Vermummte. Lächeln sie – oder nicht? «Ich finde es ganz schwierig, Maske und Schutzbrille zu tragen, wenn ein Patient aus dem künstlichen Koma erwacht», sagt Regula Rigort, die als Pflegefachperson auf der Intensivstation im Kantonsspital Graubünden arbeitet. «Wir sind völlig unkenntlich gemacht. Das verwirrt zusätzlich und ist nicht hilfreich für den Betroffenen.»

Rigort hat viel Erfahrung in der Pflege von Schwerkranken gesammelt. Zwanzig Jahre lang arbeitete sie auf einer der Intensivstationen (IPS) im Unispital Zürich. Was aber das Coronavirus mit den Kranken, den Spitälern, mit all den Angehörigen macht, das hat sie noch nicht erlebt. Als man sich vor einigen Wochen auf das Worst-Case-Szenario einstellte, wurde sie, inzwischen Leiterin Fachbereich und Dienste im Kantonsspital Graubünden, auf die Intensivstation des Spitals geholt. «Alle, die eine Ausbildung in Intensivpflege haben, wurden gebeten, auf der IPS Einsatz zu leisten», erinnert sich Rigort. «Mich beeindruckt tief, wie schnell und organisiert sich Spitäler umstellen können.»

Zu ihrem Fachbereich gehört auch die Spitalhygiene: «Wir haben viel Knowhow weitergeben können. Ziel war, dass sich alle in dieser neuen Situation sicher fühlen.» Im normalen Arbeitsleben, einem Leben ohne Coronavirus, leitet Rigort verschiedenste Fachbereiche organisatorisch, wie etwa die Ernährung, den Sozialdienst oder die Logopädie. Diese Arbeit muss, trotz der Schichten auf der Intensivstation, weitergemacht werden.

Inzwischen ist die erste Krankheitswelle abgeflacht. «Glücklicherweise sind wir nie an den Anschlag gekommen. Es war immer bewältigbar, auch wenn wir viele Patienten mit dem Virus bei uns hatten», meint Rigort erleichtert.

Kräftezehrende Pflege

Mantel, Gesichtsmaske, Schutzbrille und zum Schluss die Handschuhe: Wenn die Schicht beginnt, kleiden sich die Pflegefachleute für die Isolierzimmer, für die Pandemiestation oder für die «Corona-IPS» ein. Ist die Pflegekraft erstmal eingetreten, bleibt sie vorerst im Zimmer. Helfer reichen Medikamente und Material von aussen hinein. Jetzt werden die Patienten überwacht, untersucht und gepflegt, Material und Geräte geprüft, Labor- und Blutwerte analysiert. Immer wieder kommt es zu einer besonders kräftezehrenden Prozedur: wenn die COVID-19-Kranken von der Rücken- in die Bauchlage gedreht werden müssen. Da sich die Lage auf dem Bauch für die Behandlung etabliert hat, bleibt der Patient so in der Regel für 16 Stunden liegen. Sein Gewicht wird zu viert gestemmt. Die richtige Lagerung braucht eine halbe Stunde Zeit – pro Patient.

Schnell wird es warm unter der Schutzkleidung, die Brille drückt auf der Nase. «Der Pflegeaufwand ist extrem hoch, weil die Patienten wegen des Lungenversagens so fragil sind und sehr intensive Betreuung brauchen», weiss Rigort. Im Vergleich zu anderen, die zum Beispiel einen Herzinfarkt oder einen Hirnschlag hatten, bleiben die COVID-19-Kranken ausserdem sehr lange auf der Station, im Schnitt rund drei bis vier Wochen.

Hohe Moral

Obwohl die letzte Zeit belastend war, sagt Regula Rigort, gibt es auch schöne Momente: «Wenn ein Patient überraschend gesund wird, bei dem man keine Hoffnung mehr hatte.» Oder wenn ehemalige Patienten vom Wohnzimmer aus Dankesbriefe und Fotos schickten. «Es ist cool, die Menschen im richtigen Leben zu sehen, fernab vom Spitalbett.»

Dennoch: «Was ich sehr schwierig finde, ist die Situation der Angehörigen.» Wegen der Ansteckungsgefahr gilt ein behördliches Besuchsverbot. Verwandte dürfen nicht auf der Station vorbeikommen, können sich nicht ans Bett setzen. Nur wenn es keine Hoffnung mehr gibt, dürfen sie sich persönlich verabschieden. «Deshalb suchen wir individuelle Lösungen und die Pflege nimmt sich noch mehr Zeit für die Angehörigen. Wir verschicken auf Wunsch Fotos der Patienten mit unserem privaten Handy oder stellen per FaceTime Kontakt her.» Besonders schwierig sei, den Verwandten eine feste medizinische Bezugsperson zu organisieren. «Gerade in dieser schwierigen Zeit ist das aber extrem wichtig, um Halt zu geben.»

Rennen, einfach nur rennen. Den Kittel abstreifen, raus aus dem sterilen Spitalkosmos, rein in die Sportschuhe, ins Grün: Joggen gehört zur wichtigsten Corona-Überlebensstrategie der Pflegerin. «Ich merke dabei: Wegen der harten Arbeit auf der COVID-19-Station fehlt mir die Power. Meist bin ich nur noch müde. Grundmüde.»

Regula Rigort weiss aber, dass ihre Kräfte wiederkommen werden – und dass sie auch für eine zweite Krankheitswelle reichen würden. Angst hat sie nur vor dem Vergessen. Weil dann nämlich, wenn es um die Wertschätzung geht, bald alles wieder liefe wie zuvor.

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