Dossier: Feiern und geniessen

Im Kloster: Weihnachtsfest mit Ecken und Kanten

Weihnachten ist für den Kapuzinermönch Adrian Müller eine stressige Zeit, denn dann suchen viele Gäste die Stille des Klosters Rapperswil. Geschenke unterm Christbaum gibt es hier keine – dafür aber viel Zeit füreinander.

Text: Katharina Rilling; Foto: Kostas Maros

Die ersten Weihnachtstage schmeckten bitter. Erinnerungen an Guetzliduft, an Kinderlachen, an schiefe Weihnachtslieder vor dem Tannenbaum – all das war plötzlich weit weg. Als Adrian Müller vor 22 Jahren als junger Kapuziner in Rom zum ersten Mal hinter Klostermauern Heiligabend feierte, fern von seiner Familie in einem Berner Vorort, sassen von 150 Brüdern gerade mal noch 18 am Tisch. Das Festessen dauerte eine halbe Stunde, bevor auch der Rest der Gemeinschaft zum Aushelfen in andere Gemeinden ausflog. «In den ersten Jahren als Bruder war das ein Frust für mich. Für Kirchenleute ist Weihnachten vor allem eine stressige Zeit.»

Alle sind willkommen

Adrian Müller hat eine klare Stimme, eine kräftige Statur, ein dichter Bart umrahmt sein Gesicht. Er wirkt sicher in dem, was er ist und was er tut. Kein Wort ist unbedacht. Nur die Alltagskluft mit Jeans will nicht recht ins Bild passen, das man sich von einem Mönch macht. «Ach, das ist ein Klischee», sagt er und winkt ab. «Ich trage selten die braune Kutte.» Dass ihm das Fest inzwischen wieder Freude bereitet, liegt daran, dass er in Rapperswil eine Aufgabe gefunden hat: 30 Wochen im Jahr öffnet das Kloster am See seine Pforte für Gäste – am Ende des Jahres auch zum Mitfeiern. Manche Gäste suchen dann eine Auszeit vom Trubel, möchten sich aufs Wesentliche besinnen oder schätzen die Abwechslung mit festlichen Melodien und Geschichten. Andere kommen aus zerrütteten Familien. Der Bruder weiss: «Gerade an Weihnachten belasten Familienprobleme stärker.»

Adrian Müller begleitet die Gäste, hört ihnen zu und bereitet ihnen an Heiligabend ein festliches z’Nacht mit Wein, Raclette und Weihnachtsgebäck. «Es geht nicht um Völlerei, sondern um bewussten Genuss nach einer bescheideneren Adventszeit. Und darum, dass man sich Zeit nimmt füreinander.» Den Moment, an dem feierlich Geschenke ausgepackt werden, gibt es im Kloster übrigens nicht. Kapuziner orientieren sich am heiligen Franz von Assisi, der auf allen Besitz verzichtete und ein Leben in Armut wählte.

Fest der Menschwerdung

«Hier kann niemand im Bett liegen bleiben und sich gehen lassen. Aber jeder darf so sein, wie er sich fühlt, und muss keine Hochstimmung vorgaukeln.» Er erzählt von einem Mann, der alles verlor: seine Frau, seine Arbeit. Im Kloster suchte er eine andere Sicht auf die Welt. Jahre später sei er wiedergekommen, zu zweit, mit seiner versöhnten Frau. «Es gibt mir viel, wenn sich Menschen offenbaren», sagt Müller. «Weihnachten ist schliesslich das Fest der Menschwerdung. Mir wird dann noch stärker bewusst, dass wir gewollt sind, mit all unseren Ecken und Kanten.»Bis zum 25. Dezember steht der Bruder ganz im Dienst der Gäste. Danach kann auch er aufatmen: «Ich mag Weihnachten. Aber mein festlichster Moment ist, wenn wir am Abend des ersten Weihnachtsfeiertags vor dem geschmückten Baum meditieren und beten. Das geniesse ich! Der Druck ist weg.» Und einen Tag später besucht er dann doch noch seine eigene Familie, wo alte Erinnerungen an Kinderweihnachten wieder Raum einnehmen dürfen. «Danach geniessen wir die ruhige Zeit im Kloster und nehmen erst mal keine Gäste auf. Da will ich nachklingen lassen, was an Weihnachten angestossen worden ist.»

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