Dossier: Familie

Bewusste Entscheidung, allein Mutter zu werden

«Weil das schon immer so war», ist für Marina Belobrovaja keine Begründung, etwas genau so weiterzumachen. Die Künstlerin und Filmemacherin hat bewusst allein ein Kind bekommen. Ihre Erfahrungen hat sie im Dokumentarfilm «Menschenskind!» festgehalten.

Text: Leoni Hof; Foto: menschenskind-film.ch

Kinder brauchen Liebe, Zuwendung und Respekt. Aber – daran glaubt Marina Belobrovaja fest – nicht zwangsläufig von Vater und Mutter. Die heute 45-Jährige entschloss sich bewusst, ohne einen Mann an ihrer Seite Mutter zu werden. Den Vater ihres Kindes fand die Künstlerin im Internet. Nach einem Treffen entschied sie sich für den Mann, mit dem sie ihre Tochter zeugte. «Seine sachliche, beinahe routinierte Art empfand ich in der doch recht absurden Situation als wohltuend. Zu unserem Treffen erschien er mit einem Spermiogramm und einem aktuellen Aidstest.» Ihr sei wichtig gewesen, dass sie sich körperlich zu ihm hingezogen fühlte und dass sie und ihre Tochter Kontakt zu ihm haben können – auch wenn dieser heute lose sei und aus ein paar Zeilen zu Weihnachten bestehe.

«Ich wäre gerne den legalen Weg gegangen.»
Marina Belobrovaja, Künstlerin und Filmemacherin

Den Alltag vororganisieren

Nach wie vor gibt es in der Schweiz für Alleinstehende keinen legalen Zugang zu Samenspenden. «Hätte ich damals die Wahl zwischen einer privaten Samenspende und einer legalen Samenbank gehabt, wäre ich gerne den legalen Weg gegangen», sagt Belobrovaja. Der Alltag mit ihrer Tochter hat sich längst eingespielt. Am Anfang sei eine gute Organisation alles gewesen. «Ich musste meinen Alltag schon während der Schwangerschaft vororganisieren: Milchpumpe, Krippenplatz, Kindersitz, Zahnzusatzversicherung… Wie alle Eltern war auch ich in den ersten Jahren überfordert. Aber diese Zeit war frei von enttäuschten Erwartungenan den Partner, Schuldzuweisungen oder Trennungsschmerz. Und damit für mich vielleicht sogar leichter durchzustehen als für manche Paare.»

Marina Belobrovaja entschloss sich bewusst, ohne einen Mann an ihrer Seite Mutter zu werden.
«Sind nicht alle Eltern egoistisch?»
Marina Belobrovaja, Künstlerin und Filmemacherin

Wappnen gegen den Spielplatz-Tratsch

Überrascht sei sie damals vom Unverständnis ihres linksalternativen Umfelds gewesen. Man warf Belobrovaja Egoismus vor – «Sind nicht alle Eltern egoistisch?» – und kritisierte das nicht Vorhandensein einer Vaterfigur, die fehlende Romantik. Eine Stütze seien ihre in Israel lebenden Eltern gewesen. Selbst unter konservativen Verwandten war die Reaktion durchweg positiv: Hauptsache Nachwuchs! Im Nachhinein sei es für sie gut gewesen, von Anfang an offen mit dem Thema umzugehen. Sie hätte so ausreichend Zeit gehabt, sich gegen den Spielplatz-Tratsch zu wappnen. Dass es vor zehn Jahren so gar keine Vorbilder für ihr Familienmodell gegeben habe, sei dabei verunsichernd und befreiend zugleich gewesen. Seit ihre Tochter drei Jahre alt ist, sprechen die beiden ihrem Alter entsprechend über ihre Entstehungsgeschichte. «Heute sind wir umgeben von Menschen, die unterschiedliche Biografien, diverse Genderidentitäten und sexuelle Orientierungen haben und deren Familienbegriffe sich voneinander unterscheiden. In diesem Bewusstsein wächst meine Tochter auf.»

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