Dossier: Entscheidungen

«Entscheide schnell und mit dem Herzen»

Im Rückblick auf ein Leben voller Erfahrungen und Entschlüsse erzählt Heidi Rothen, 82, wie Entscheidungen in ihrem Leben die Weichen gestellt haben – und was sie jungen Menschen rät.

Text: Katharina Rilling; Fotos: Herbert Zimmermann

«Entscheide dich! Das würde ich jungen Menschen heute raten. Wenn du schon lange den Führerschein machen willst: Entscheide dich endlich dafür! Wenn du mehrere Studiengänge angefangen hast: Entscheide dich für einen Weg! Klemm dich dahinter und tu’s! Lieber nicht zu lange überlegen, denn in dieser Zeit schwimmt dir alles davon. Entscheide schnell und entscheide mit dem Herzen! So habe ich es immer gemacht. Aber heute hat man so viele Möglichkeiten, das überfordert.

Ich selbst bin Bauerntochter. Kaum konnte ich laufen, musste ich auch schon mithelfen. In der ersten Klasse sagte meine Mutter zu mir: ‹Wenn du nach der Schule nach Hause kommst, dann kochst du Wasser und machst Hörnli.› Als kleiner Knirps habe ich also gelernt, im konkreten Tun erste Entscheidungen zu treffen. Das hat mich geprägt. Ich habe gemerkt, dass ich viel kann, und das hat mir die Selbstsicherheit für spätere Entschlüsse gegeben.

Heidi Rothen blickt im Ruhestand auf ein reiches Leben voller Entscheidungen zurück.
Abwarten und Tee trinken war nie Heidi Rothens Strategie. Sie entscheidet lieber schnell und intuitiv.

Dass ich in meinem Leben nicht alles falsch gemacht habe, erkenne ich daran, dass ich noch immer herzige Rückmeldungen bekomme. Letztens sagte ein Mann im Laden, dass er mich immer dafür bewundert habe, wie ich einfach alles durchgezogen hätte. Einfach war das aber ganz sicher nicht! Bei einigen Entscheidungen spürte ich mächtig Gegenwind. Ich ging den Leuten auf die Nerven! Ach Gott, man beschimpfte mich als Drogenmutter, weil ich Randständige verarztete, oder man veräppelte mich als Fasnachtsfigur. Heute wäre mir das Wurst. Die Entscheidung muss im eigenen Herzen stimmen.

In ihrer Wohnung in Hergiswil NW geniesst sie heute die freie Zeit mit Lesen. Auch, wenn ihre Hilfe und ihre Ratschläge noch immer viel gefragt sind.
Selbstgemachte Glücksbringer für die Kinder in ihrer damaligen Kinderbetreuungsstätte «Kinderparadies»: Heidi Rothen hat viele Erinnerungsstücke an ihre aktive Zeit aufgehoben.

Natürlich habe ich auch falsche Entscheidungen getroffen. Einmal rief mich eine weinende Mutter an und bat mich um Hilfe. Ich vertröstete sie, sagte, sie solle später nochmals anrufen. Ich weiss bis heute nicht, warum sie mich sofort gebraucht hätte – nie wieder habe ich von ihr gehört. Das hat mich lange umgetrieben. Aber man lernt aus Fehlern: Ich passe auf, dass das nicht wieder vorkommt.»

Heidi Rothen, 82, führte während 33 Jahren das Zepter im Rathaus Luzern und war als «Stadtmutter» bekannt. Sie war als Kantonsrätin und im Grossen Bürgerrat aktiv. Daneben kümmerte sie sich stets um Minderheiten und Hilfesuchende. In den 1970ern wurde sie als «Drogenmutter» beschimpft, weil sie sich als Privatperson für Randständige einsetzte. Sie gründete den Christkindl-Briefkasten für Bedürftige, die Stiftung Sonneschiin für Soforthilfe bei Fällen von sexuellem Missbrauch sowie eine Kinderbetreuungsstätte, organisierte ein Grünabfuhrprojekt für Arbeitslose und fuhr mit Hilfskonvois in jugoslawische Kriegsgebiete.

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