Dossier: Unser Baby

Diagnose: Kind im Haus

Messerscharf und mit augenzwinkernder Ironie analysieren Nina Puri und Susanne Kaloff das Verhalten junger Mütter und Väter. Der frisch-freche Ratgeber «Elternkrankheiten» kennt so sonderbare Krankheiten wie «Hip-atitis» oder «Babydorfwahnsinn».

Text: Robert Wildi, Foto: Manuel Rickenbacher

Man glaubt es nicht, bis es einem selbst widerfährt: Eltern werden verändert vieles, für viele fast alles. Die beiden Hamburger Autorinnen Nina Puri und Susanne Kaloff, beide selbst Mütter, nehmen mit dem Ratgeber «Elternkrankheiten» frischgebackene Eltern und nicht zuletzt sich selbst auf die Schippe.

Frau Puri und Frau Kaloff, wie haben Sie sich inspirieren lassen beim Schreiben Ihres Ratgebers?

Susanne Kaloff: Vor unserem Mutterdasein hätten wir dieses Buch nicht schreiben können – und nicht schreiben dürfen. Ich glaube, dafür muss man die kuriose Transformation vom Individuum zum Elternteil am eigenen Leib erfahren haben.

Nina Puri: Unser Ratgeber ist in der Tat alltagsgetestet und leidgeprüft. Nebst der kritischen Selbstbeobachtung konnten wir aber auch viele Fallstudien im weiteren Bekanntenkreis machen.

Im Buch beschreiben Sie verschiedene «Elternkrankheiten». Welche haben Sie bei sich selbst diagnostiziert?

Nina Puri: Besonders oft überfallen hat mich die Krankheit «Kloss im Hals». Zu den typischen Symptomen gehört, dass man beim Anblick des eigenen Kinds von übermächtiger Rührung übermannt wird. Weil das Kind seinen ersten Kindergartentag hat. Oder ein Triangelsolo auf der Jugendmusikschulbühne aufführt. Dann stehe ich mit heissen Ohren da, Tränen in den Augen und Schluckbeschwerden und kann kein Wort mehr sagen.

«Besonders oft überfallen hat mich die Krankheit ‹Kloss im Hals›. Zu den typischen Symptomen gehört, dass man beim Anblick des eigenen Kinds von übermächtiger Rührung übermannt wird.»
Nina Puri

Susanne Kaloff: Ich litt das ganze Alphabet hindurch. Von A wie «Alarmbereitschaft» bis Z wie «Zeitstraffer». Alarmbereitschaft ist das elterliche Stand-by-System, das 24 Stunden am Tag unter Starkstrom steht. Der Zeitstraffer beschreibt das elterliche Gefühl, die Kinder würden ja sooooo schnell gross werden.

Es gibt Eltern, die schleppen den Sprössling abends im Tragetuch mit in die Szenebar. Ihre Diagnose?

Nina Puri: Klarer Fall von «Hip-atitis»! So heisst eine Krankheit, die vorwiegend junge Eltern befällt. Diese wollen partout beweisen, dass sie immer noch so hip sind wie früher und kreuzen daher bei jeder Party mit Baby auf. Tatsächlich wird an diesen Feten dann aber weniger gelacht, sondern mehr gewippt, gewickelt und gestillt.

Und dann gibt es auch jene, die ihr bisheriges Leben total über den Haufen werfen und nach der Geburt quasi 24 Stunden zwischen Bébé-Fachgeschäft und Kinderspital pendeln.

Nina Puri: Bei diesen Symptomen dürfte es sich um eine gefährliche Mischung aus «Babydorfwahnsinn» und «Hypo-hypo-hypo-hypochondrie» handeln (siehe Box). Leider ist, wer von der einen Krankheit betroffen ist, vor der anderen nicht gefeit.

Susanne Kaloff: Kürzlich erfuhr ich von einem neuen Virus, der aktuell umgeht. Eine frischgebackene Mutter erzählte mir, sie habe mit ihrem Mann abgemacht, dass sie, sobald ihr Baby zur Welt kommt, kinderlosen Menschen nicht auf den Geist gehen werden. Keine Cafébesuche am Samstag zur Stosszeit, keine Restaurantbesuche nach 18 Uhr. Den beiden war noch zu präsent, wie sie sich selbst genervt hatten über Eltern mit plärrenden, klebrigen Gören, die alles auf den Kopf stellen.

«Ich litt das ganze Alphabet hindurch. Von A wie ‹Alarmbereitschaft› bis Z wie ‹Zeitstraffer›».»
Susanne Kaloff

Ist «Elternkrankheiten» demnach auch als Ratgeber für Kinderlose gedacht, die im direkten Umfeld mit jungen Eltern zu tun haben?

Nina Puri: Tatsächlich ist es für Aussenstehende schwer zu verstehen, was mit jungen Eltern abgeht. Warum müssen sie vierundzwanzig Stunden darüber reden, dass Evan Otis total weit für sein Alter ist, Lisa jetzt einen anderen Rhythmus hat oder Jul schon Blickkontakt sucht? Warum müssen sie plötzlich alles hundert Prozent konsequent und pädagogisch wertvoll machen? Und warum sind sie so komplett unempfindlich gegenüber den Bedürfnissen anderer Menschen?

Das Buch ist stellenweise recht angriffslustig. Welche Reaktionen haben Sie erreicht?

Nina Puri: Wir haben von Kinderlosen wie auch Eltern viele nette Briefe bekommen. Ich erinnere mich aber auch an sehr böse Mails, zum Beispiel zur Krankheit «Zurschaustillen». Dabei geht es um das Tamtam, das Mütter beim Stillen machen. Ein Thema, über das man definitiv niemals Spässe machen sollte.

Der Stress mit den Kindern kann für Eltern eine existenzielle Überforderung bedeuten. Darf man dieses Thema derart verulken?

Susanne Kaloff: Ich glaube, man darf. Wenn man selbst weiss, wovon man spricht. Wir waren beim Schreiben unseres Buches ja auch häufig baff über unseren eigenen Irrsinn.

Geben Sie doch bitte noch je einen Tipp an Eltern, die gerade ihr erstes Kind erwarten oder bekommen haben.

Susanne Kaloff: Gott bewahre, keine Tipps! Davon bekommt man als Eltern nämlich völlig ungefragt noch mehr als Spieluhren, Stoffhasen und Stoppersocken.

Nina Puri: In dem Fall gebe ich hier gleich mal zwei Tipps zum Besten. Erstens: Einfach mal die Klappe halten. Zweitens: Keine Sorge – viele Krankheiten wachsen sich aus.

Babydorfwahnsinn (lat.: baby baby balla balla)

Beschreibung: Zwanghaftes, vom Nestbautrieb angepeitschtes Anschaffen, Hortenund Sammeln von Babyartikeln, ohne die das Baby keine Überlebenschance hat.

Symptome:

  • Worte wie «öko-geprüft», «unbehandelte Baumwolle», «pädagogisch wertvoll» und «gluten-frei» nehmen einen Grossteil der elterlichen Kommunikation ein.
  • Herstellernamen wie Baby-Björn und Maxi-Cosi werden fehlerfrei und flüssig ausgesprochen.
  • Besitz einer Kundentreuekarte von diversen Bébé-Häusern

Ansteckungsgefahr: Sehr hoch, besondere Vorsicht bei Austausch mit Gleichgesinnten im Geburtsvorbereitungskurs und während der Kreisssaalführung.
Heilungschance: Verheimlichen Sie Ihre Schwangerschaft / Ihre Entbindung / Ihr Kind so lange wie möglich.

Namensqual (lat.: nomen est ohmann)

Beschreibung: Schmerzvoller, langwieriger Prozess bei der Namenssuche für das ungeborene Kind

Symptome:

  • Schlaflose Nächte, Erstellung endloser Listen
  • Kauf von Literatur wie «Die 4000 besten finnischen / zentralafrikanischen / eurasischen Vornamen»
  • Wichtigtuerische Geheimhaltung gegenüber allen desinteressierten Bekannten

Folgen:

  • Shanti Cosma Rainbow Schröder
  • Newton Edison Galileo Pfleiderer
  • Apple Peach Cherry Banana Schmidt
  • Pepsi Carola Müller

Chancen: Aus Joaquin wird spätestens im Kindergartenalter Joachim, womit sich für Joaquin der spätere Gang zum Psychiater erledigt hat.

Hypo-hypo-hypohypochondrie (lat.: alaaaarm alaaaarm)

Beschreibung: Elterliche Sorge um die Gesundheit ihrer Kinder

Mögliche Symptome: Alle

Befunde: Sicher steckt eine schlimme Krankheit dahinter

Verlauf: Wahrscheinlich tödlich

Bestätigung: Bei EmergencyRoom.com, doctor-online.com, KidsHealth.com, medicine-worldwide.com etc.

Reaktion: Alarmieren der gesamten Verwandtschaft, Bekanntschaft und Kollegenschaft, Kontaktieren der Chefärzte auf der Intensivstation des örtlichen Krankenhauses, Alarmieren aller Notrufwagen, Feuerwehrleute, Polizeikräfte im Umreis.

Alarmstufe: Dunkelrot!!

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