Dossier: Familie

Wünsche ans Leben – ein 4-Generationen-Gespräch

Sie haben noch das ganze Leben, die Hälfte des Lebens oder den letzten Lebensabschnitt vor sich: vier Menschen aus ganz unterschiedlichen Welten mit ganz unterschiedlichen Lebenswegen, Wünschen, Hoffnungen und Träumen.

Text/Moderation: Christine Schulthess; Fotos Kostas Maros; Videos: Sebastian Doerk

Wir alle wünschen uns ein sinnvolles und erfülltes Leben. Was ist dabei für Sie der entscheidende Punkt?

Maria Schaller: Für mich gehört Religion, in meinem Fall das Christentum, zu einem erfüllten Leben. Sie gibt mir Leitlinien.

Monica Otten: Mir ist eher der Humanismus wichtig, der Kontakt zu den anderen. Und dass alles, was man tut, gute Auswirkungen auf andere hat.

Albert Enste: Ich finde es erfüllend, durch die eigene Persönlichkeit zu wachsen und anderen beim Wachsen zu helfen.

Pascal Kipf: Das würde ich voll unterschreiben: lernen und sich und die anderen weiterentwickeln.

«Ich habe das erreicht, was ich mir gewünscht habe.»
Maria Schaller

Sich selbst und andere weiterzuentwickeln spielt ja auch im Job eine Rolle. Ist Ihnen beruflich das geglückt, was Sie sich gewünscht haben?

Schaller: Ich habe das erreicht, was ich mir gewünscht habe. Schon im Gymi wusste ich genau, dass ich Ärztin werden wollte. Ich bin Einzelkind, meine Eltern konnten keine weiteren Kinder bekommen und sie sprachen von Adoption. Da wuchs in mir der Wunsch, Frauenärztin zu werden.

Otten: Ich wollte ursprünglich Goldschmiedin werden. Dieser Wunsch erfüllte sich nicht. Stattdessen bin ich Fotografin geworden mit dem Ziel, Menschen – vor allem Kinder – in ihren Lebenswelten zu fotografieren und so auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Dann liess ich mich in Entwicklungshilfe weiterbilden. Dabei habe ich die buddhistische Ökonomie kennengelernt – das komplette Gegenteil zum neoliberalen Kapitalismus. Ich wurde Unternehmensberaterin mit ebendiesem Ethos und habe Unternehmen zum Beispiel bei Strategieänderungen beraten.

Enste: Ich war immer technikgetrieben und studierte Maschinenbau. Mein Traum: CEO eines grossen Unternehmens werden. Irgendwann kam der Wunsch auf, ein eigenes Unternehmen zu haben. Denn in Grossunternehmen konnte ich zu wenig bewirken. 2011 habe ich dann eine Federnfabrik erworben. Mein Wunsch wurde Wirklichkeit.

Kipf: Ich träumte als Kind davon, Hochbauzeichner oder Architekt zu werden, später dann Hausarzt. Schlussendlich habe ich aber ein Biologiestudium begonnen und bin nun am Master für Biogeowissenschaften. Ich möchte später gerne in einem Ökobüro arbeiten oder bei einer NGO, auf jeden Fall im Bereich Ökologie oder Nachhaltigkeit.

Und wenn Sie an die Zukunft denken – vielleicht in zehn Jahren: Wo sehen Sie sich dann?

Kipf: Ich möchte daran arbeiten, dass Natur und Mensch harmonisch zusammenleben und dass Gerechtigkeit für alle besteht. Später würde ich gerne Teilzeit arbeiten, um daneben noch Zeit für ein Selbstversorgerdasein zu haben.

Gibt es für Sie als Aktivisten der Klimajugend auch Träume wie grosse Reisen – auch wenn der Klimaschutz eigentlich dagegenspricht?

Enste: Ich sehe das nicht ganz so eng und fliege nach wie vor, aber spende dann auch etwas. Zum Beispiel damit neue Bäume gepflanzt werden können.

Otten: Der Verzicht aufs Fliegen bringt meiner Meinung nach sowieso viel zu wenig. Man sollte vielmehr bei der Ernährungsweise ansetzen und diese verändern. Und ich träume von einer neuen Form des Zusammenlebens. Vor wenigen Jahrzehnten galt das Credo: «Alleine ist man stärker.» Heute brauchen wir das Gegenteil: soziale Netzwerke, gegenseitige Unterstützung.

«Ich würde mir ein bisschen mehr Zeit kaufen, damit ich mehr Zeit für mich habe.»
Albert Enste

Einmal angenommen, Sie müssten nicht aufs Geld schauen: Was würden Sie tun?

Kipf: Ich hätte dann mehr Zeit, für andere da zu sein, Projekte zu realisieren. Und anderen Menschen dabei zu helfen, den Bezug zur Natur wiederzufinden.

Schaller: Ich würde alles so belassen, wie es ist: in meinem Elternhaus wohnen, wo ich eine Freundin habe, die mich im Alltag unterstützt, den Kontakt zu meinen Patenkindern und Freunden pflegen und mich mit Zeitungslesen auf dem Laufenden halten.

Spielt das Thema Gesundheit in Ihrer Wunschliste keine Rolle?

Schaller: Doch – ich bin glücklich, dass es ein Medikament gibt, das mir ermöglicht, überhaupt noch zu sehen, und hoffe, das bleibt noch lange so. Aber selbst wenn ich erblindet wäre, hätte ich den Lebensmut nicht verloren. Vor fünf Jahren erkrankte ich zudem an Darmkrebs. Ich habe mich glücklicherweise gut davon erholt. Jetzt möchte ich es locker nehmen und nicht immer an Krankheiten denken.

In Umfragen zu persönlichen Wünschen ist auch Familie sehr wichtig. Wie bedeutsam ist Familie für Sie?

Schaller: Durch meine Auslandaufenthalte kam ich nie dazu, eine Familie zu gründen. Für mich waren die Arztpraxis und meine Angestellten meine Familie. Wenn ich sehe, wie stressig das Leben einer berufstätigen Mutter sein kann, bin ich froh, dass ich nie so leben musste.  

«Im Moment bin ich auf der Suche nach meinen leiblichen Eltern in Südkorea.»
Monica Otten

Otten: Meine engsten Freunde und meine Schwester sind meine Familie. Das Verhältnis zu meinen Adoptiveltern ist eher kompliziert. Im Moment bin ich auf der Suche nach meinen leiblichen Eltern in Südkorea. Ich habe meine DNA in einer weltweiten Datenbank speichern lassen und hoffe, dass es eines Tages einen Treffer gibt. Den Wunsch nach einer eigenen Familie hatte ich nie. Wenn, dann dachte ich manchmal an die Adoption von Kindern.

Kipf: Ich habe auch ein recht inniges, familiäres Verhältnis zu Kolleginnen und Kollegen. Wir gehen sehr achtsam miteinander um. Familie kann aus meiner Sicht etwas Dynamisches sein, das ist nichts Starres.

Gibt es Wünsche, die speziell auf die Familie abzielen?

Enste: Ja, dass der Druck auf die Kinder nicht zu gross wird. Sie müssen schon mit sieben wissen, was sie wollen. Das ist schade.

Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Sie an die Zukunft denken und was macht Ihnen Sorgen?

Schaller: Ich habe gerade Probleme mit der Hüfte und wäre froh, wenn es eine schmerzfreie Lösung für meine Arthrose gäbe. Ansonsten ist jeweils der nächste Tag meine Zukunft. Auf den freue ich mich immer wieder!

Otten: Ich freue mich auf eine Reise nach Ruanda. Ich möchte gerne die Gorillas sehen.

Enste: Ich freue mich auf die Zeit, wenn meine Kinder ihre Ausbildung abgeschlossen haben werden.

«Ich freue mich auf die Zeit, in der das Leben richtig losgeht.»
Pascal Kipf

Kipf: Ich freue mich auch auf den Abschluss meiner Ausbildung. Auf die Zeit, in der das Leben richtig losgeht. Ich fürchte allerdings, dass es dann nicht unbedingt friedlicher sein wird, allein schon weil die Wasserversorgung nicht mehr für alle Menschen gesichert sein wird. Ich bin überzeugt, dass grosse Konflikte auf uns zukommen.

Enste: Dafür bin ich zu sehr Optimist. Ich bin sicher, dass Innovationen unser Überleben sichern. Da bin ich sehr technikgläubig. Entweder sprechen wir den Menschen das Leben auf unserer Erde ab oder wir finden Lösungen für immer mehr Menschen auf diesem Planeten.

Kipf: Das ändert aber nichts an den Fehlern unseres ausbeuterischen Systems. Das ist nur eine Symptombekämpfung, aber keine Arbeit an der Wurzel des Übels, der Ausbeutung unserer Ressourcen.

Otten: Die Menschen, die nichts haben, leben viel nachhaltiger als jene, die alles oder zu viel haben. Der Überfluss in der westlichen Welt weckt künstliche Begehrlichkeiten. Daran krankt unser System.

Sie haben einen Wunsch frei. Der wäre …  

Otten: … Gesundheit.

Enste: … für mich auch: Gesundheit.

Kipf: … dass die Menschen mehr miteinander reden und einander zuhören.

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