Dossier: Ernährung

Ayurvedische Ernährung: Grundlagen einfach erklärt

Die ganzheitliche Ayurveda-Ernährungs- und -Gesundheitsberaterin Daniela Dörflinger Bruggeman entschlüsselt die ayurvedische Ernährungsweise und erklärt wie sie Körper und Psyche in ein natürliches und gesundes Gleichgewicht bringt.

Text aufgezeichnet von: Isolde Burtscher; Foto: iStock

Im Ayurveda ist Essen gleichbedeutend mit der Aufnahme von Lebensenergie. Wie, wann und was man isst, hat grossen Einfluss auf die Gesundheit und das allgemeine Wohlbefinden. Erfahren Sie mehr über die jahrtausendealte Wissenschaft des Lebens und einen ihrer wichtigsten Grundpfeiler, die ayurvedische Ernährung.

Was ist Ayurveda?

Ayurveda kommt aus dem indischen Raum. Man nimmt an, dass er ungefähr 5000 Jahre alt ist. Es ist ein Begriff aus dem Sanskrit, der das Wissen nicht nur vom Leben, sondern vor allem vom langen und gesunden Leben beschreibt. Ziel des Ayurveda ist es – wie in anderen Medizinsystemen auch –, Krankheit zu vermeiden und Gesundheit zu bewahren, wobei man im Ayurveda sehr präventiv arbeitet.

Der Ayurveda ist, auch weil er so alt ist, eine Erfahrungswissenschaft. Das ist ein Unterschied zur westlichen Medizin, die anders aufgebaut ist. Typisch am Ayurveda ist der ganzheitliche Ansatz. Es geht darum, in Harmonie mit der Natur zu leben, wobei jeder Mensch als ein Teil der Natur gesehen wird.

Für wen eignet sich Ayurveda?

Grundsätzlich für jeden, der dafür offen ist. Ayurveda ist eine Lebensphilosophie, die sich durch alle Lebensbereiche zieht, vom Tagesablauf bis zum Managementstil. Dabei ist es sehr charakteristisch, dass im Ayurveda die Einzigartigkeit jedes Menschen im Zentrum steht. Das macht ihn erst einmal ein bisschen komplex, aber auch so greifbar.

Ayurvedische Ernährung: Was ist das genau?

Die Ernährung ist im Ayurveda eine Therapieform und spielt eine zentrale Rolle. Ebenso wie das Verdauungsfeuer, anhand dessen man die unterschiedlichen Typen einteilt. Ein Charakteristikum der drei Doshas ist die Verdauungskraft, die bei jedem Menschen unterschiedlich ist. Beispielsweise verträgt nicht jeder Rohkost gut, deshalb rät Ayurveda dazu, vorwiegend warm zu essen.

Ein grosser Unterschied vom Ayurveda zu anderen Ernährungslehren ist, dass Ayurveda selten ausschliessliche Aussagen macht. Wie die Nahrung aufgenommen wird, hängt vom Typ, aber auch von der Zubereitungsart ab. Gewürze haben einen grossen Einfluss, aber auch die Tageszeit, zu der man ein bestimmtes Nahrungsmittel isst. Dazu kommen unterschiedliche Richtungen: Es gibt Heilkost, dann gibt es die Genussküche, die Alltagsküche, und es gibt Tipps für jeden Konstitutionstyp.

Dieser individuelle Ansatz macht Ayurveda im Unterschied zu anderen Ernährungssystemen so lebbar und echt, aber auch sehr komplex. Deshalb empfehle ich, erst einmal saisonal und regional zu essen, frisch zu kochen, Gewürze zu integrieren und warm zu essen.

Vorteile der ayurvedischen Ernährung

Wir sind in unserer Gesellschaft sehr «de-naturalisiert», was unseren Lebensstil und unsere Lebensmittel betrifft. Der Ayurveda hilft, ein Bewusstsein in die Ernährung zu bringen, dass Nahrung einen viel grösseren Effekt hat, als einfach satt zu machen. Vor allem aber ist passende Ernährung eine der präventiven Massnahmen des Ayurveda, um für Gesundheit zu sorgen.

Dosha-Typen in der ayurvedischen Ernährung

Der Ayurveda erklärt alles anhand der Naturelemente. Es gibt die drei Doshas Vata, Pitta und Kapha, doch die Basis dieser Doshas sind die fünf Naturelemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum. Jeder Mensch ist mit einer bestimmten Zusammensetzung dieser fünf Elemente geboren. Das wird bei der Zeugung bestimmt, vergleichbar mit der DNA. Je nach dieser Natur bekommen ihm gewisse Dinge besser oder schlechter.

Die Doshas sind Kombinationen dieser Elemente. Das Vata-Dosha beispielsweise ist Raum und Luft. Ziel im Ayurveda ist es, zu dieser Grundkonstitution immer die Mitte zu halten und sie im Laufe des Tages, der Jahreszeiten und des Lebens auszugleichen. Das ist wie ein Tanz mit den Doshas und den äusseren Einflüssen.

Jeder von uns ist nicht nur ein Dosha, meistens sind zwei vorherrschend. Wenn man das einmal weiss, kennt man seine Schwachstellen. Man weiss dann, wo man aufpassen und mit Ernährung oder bestimmten Ritualen gegensteuern muss. Denn aus unseren Schwachstellen können verschiedene Krankheitsbilder entstehen.

Vata

Vata ist das ayurvedische Bewegungsprinzip, dem die Elemente Raum und Luft zugeordnet sind. Vata-Typen haben oft einen leichten, feingliedrigen Körperbau, ein schmales Gesicht und eine trockene, kühle Haut. Sie sind kommunikativ, spontan, kreativ und empfindsam. Nervensystem und Bewegungsapparat sind anfällig.

Vata-Typen tut Wärme gut und eine regelmässige Tagesroutine mit Ruhepausen und ausreichend Schlaf.

Pitta

Pitta, das Transformations- oder Stoffwechselprinzip, ist Feuer und wenig Wasser. Pitta-Menschen haben häufig eine athletische Struktur, ein markantes, kantiges Gesicht und eine helle, warme Haut. Sie leben ihre Leidenschaft, sind charismatisch, selbstbewusst und willensstark. Pitta-Typen neigen zu innerer Hitze und Entzündungen.

Ausgleich finden sie in Bewegung ohne Leistungsanspruch, Entspannungsphasen und Kühlung.

Kapha

Kapha ist das ayurvedische Stabilitätsprinzip, geprägt von den Elementen Erde und Wasser. Kapha-Typen sind eher kräftig und schwer, haben eine blasse, weisse Haut und breite Gelenke. Sie sind gelassen, zuverlässig und liebevoll. Ihr Stoffwechsel ist langsam und träge. Sie neigen zu Gewichtszunahme und Wassereinlagerungen.

Ihnen tun anregende Massagen gut, regelmässige körperliche Aktivität und eine leichte, warme, gut gewürzte Kost.

Wie funktioniert die ayurvedische Ernährung?

Wenn wir uns mit echten und reinen Lebensmitteln ernähren, wird Vitalität freigesetzt und wir fördern mit jedem Bissen das Immunsystem. Ein alter Text des Ayurveda sagt: «Ohne richtige Ernährung ist die Medizin wirkungslos … und mit der richtigen Ernährung ist die Medizin nicht nötig.» In der ganzheitlichen Gesundheitslehre des Ayurveda hat Essen die Fähigkeit, unsere Gesundheit und unsere Gefühlswelt zu beeinflussen und zu stärken.

Die sechs Rasas

Als Rasas bezeichnet man im Ayurveda die sechs Geschmacksrichtungen süss, sauer, salzig, scharf, bitter und herb. In einem ayurvedischen Menü sind alle sechs Geschmacksrichtungen ausgewogen vertreten, damit man sich danach ganzheitlich wohl und genährt fühlt. So hat man bis zur nächsten Mahlzeit keinen Heisshunger und muss nicht zwischendurch snacken. Mit den Rasas kann man auch spezifisch auf die Doshas einwirken. Hat jemand etwa ein starkes Feuer, sollte er möglichst nicht so scharf essen.

Auch die Jahreszeiten und das, was die Natur uns schenkt, wirken über die Rasas. So essen wir im Frühling Rucola, Löwenzahn, Rhabarber und Blattgemüse – das sind Bitterstoffe, die uns helfen, das Blut nach dem Winter zu reinigen. Im Herbst und Winter geben uns die erdnahen Lebensmittel wie Kürbisse oder Wurzelgemüse die Erdung, die wir brauchen, wenn es draussen kalt wird.

Die sieben Grundregeln der ayurvedischen Ernährung

So wenig dogmatisch und individuell die ayurvedische Ernährung ist, gibt es doch allgemeine Grundprinzipien. Im Fokus steht die Aufrechterhaltung des Verdauungsfeuers und damit des zentralen Mechanismus, der die Nahrung in Energie und Lebenskraft umwandelt.

Hochwertige Zutaten

Der Ayurveda zählt keine Kalorien, sondern Prana, also Lebensenergie. Die steckt in vitalstoffreichen Lebensmitteln, möglichst saisonal und regional, die frisch gekocht sind. Abgestandenes oder aufgewärmtes Essen hat nicht mehr so viel Lebenskraft.

Warm essen und trinken

Im Ayurveda bevorzugt man gekochte, warme Speisen und verzichtet auf eiskalte Getränke. Wärme ist wie eine Vorstufe zum Verdauen, und Warmes wird vom Körper einfacher aufgenommen.

Der Geschmack zählt

Jeder Geschmack hat spezifische körperliche und emotionale Auswirkungen. Mit den sechs Geschmacksrichtungen das Gleichgewicht zu balancieren, ist der beste Weg, den Körper in Form zu halten und Heisshungerattacken zu vermeiden.

Gewürze sind Medizin für den Körper

Gewürze sind wie ein kleiner Medizinkoffer. Schon in kleinen Mengen sorgen sie für eine bessere Aufnahme der Nährstoffe und helfen, Verdauungsstörungen auszugleichen. Das Riechen der Gewürze beim Kochen hat bereits eine appetitanregende und therapeutische Wirkung.

Die Menge macht’s

Nicht hungern und nicht überessen! Vor dem Essen sollte man ein gesundes Hungergefühl haben und sich nach dem Essen wohlgenährt, aber nicht voll fühlen. Stellen Sie sich Ihren Magen in drei Dritteln vor, wobei das dritte Drittel für die Verdauung gedacht ist und leer bleibt.

Pausen zwischen den Mahlzeiten

Damit alle Verdauungsprozesse optimal funktionieren, sollten Snacks zwischen den Mahlzeiten die Ausnahme sein. Zwischen den Mahlzeiten darf ein Hungergefühl entstehen, aber kein Heisshunger, denn dadurch übersäuert der Körper.

Liebe und Gelassenheit

Man sagt, der Koch ist der Alchemist. Kocht oder isst man im Stress oder im Streit, schadet das eher. Kochen und Essen sollen sinnlich und genussvoll sein. Mit Liebe gekocht und in aller Ruhe gegessen, erfüllt jede Mahlzeit mit neuer Lebensenergie.

Ayurveda: einfache Ernährungstipps für Anfänger

Einsteigern in den Ayurveda rate ich, mit den allgemeinen Ernährungsregeln zu beginnen und sich erst später Schritt für Schritt, am besten mit sachkundiger Unterstützung, zu den Doshas hinzuarbeiten.

Ayurvedische Ernährung nach Tageszeit

Der Ayurveda liebt einen regelmässigen Tagesablauf. Das gilt auch für die Mahlzeiten. Wir halten uns im Tagesverlauf an die Sonnenuhr. Dabei stellen wir uns das Verdauungsfeuer als Sonne vor, die mittags am stärksten ist. Der Mittag ist also gut für die Hauptmahlzeit, während Frühstück und Abendessen eher leicht sein sollten.

Was kann ich zum Frühstück essen?

Ein typisches Ayurveda-Frühstück ist ein Porridge, dazu warme, gedünstete Früchte. Jeder, der am Morgen schon einmal den warmen Getreidebrei gegessen hat, merkt, wie gut das tut. Hafer ist Standard, aber je nach Konstitution ist vielleicht Hirse besser oder Griess. Auf jeden Fall sollte das Frühstück warm sein, um das Verdauungsfeuer anzufachen.

Wer keinen Getreidebrei möchte, kann auch Brot essen, am besten getoastet oder warm. Dazu passt ein warmes Kompott. Manche Leute bevorzugen morgens vielleicht eine gewürzte Mandelmilch mit ein paar Nüssen. Auf jeden Fall sollte der Tag mit einem möglichst leichten und möglichst warmen Frühstück beginnen.

Was kann ich trinken nach ayurvedischer Ernährung?

Ein No-Go im Ayurveda ist Kälte – auch bei Getränken. Wir tun alles dafür, dass das Verdauungsfeuer immer gut brennt. Dabei hilft es, schluckweise über den ganzen Tag abgekochtes, heisses Wasser zu trinken. Das fördert den Ausleitungsprozess von Schadstoffen.

Kräuter- und Gewürztees sind im Ayurveda beliebt, um die Doshas auszugleichen und die Verdauungskraft zu stärken. Als SOS-Hilfe bei ersten Erkältungsanzeichen empfehle ich den Stoffwechsel anregenden KKF-Tee aus Koriander, Kreuzkümmel und Fenchel. Aufkochen, abseihen, eventuell mit Zitrone oder Honig abschmecken und über den Tag verteilt trinken.

Was darf man in der ayurvedischen Ernährung nicht essen?

Genussmittel wie Kaffee oder Zucker sind zwar nicht verboten, sollten aber reduziert konsumiert werden. Ungünstig ist es auch, sich zu überessen, ständig zu essen oder sehr unregelmässig. Und bitte kein Convenience- oder Fast Food. Da ist nichts mehr drin, was dem Körper guttut.

Über die Expertin

Daniela Dörflinger Bruggeman ist ganzheitliche Ayurveda-Ernährungs- und Gesundheitsberaterin, Ayurveda-Köchin und Yogalehrerin. Sie lebt mit ihrer Familie im Grossraum Zürich und gibt ihr Wissen in Kochkursen, Workshops und individuellen Ernährungsberatungen weiter.

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