Wie Kälte auf den Körper wirkt

Kältetherapieexperte Erich Hohenauer erklärt, warum Frauen eher frieren, welche Heilkraft in der Kälte liegt und was Abhärtung bringt.

Text: Ruth Jahn; Foto: Unsplash

Was belastet den Körper mehr: grosse Hitze oder eisige Kälte?

Erich Hohenauer: Hitze fordert ein gesundes Herz-Kreislauf-System stärker. Im Sommer muss der Körper aktiv kühlen, indem er die Hautdurchblutung ankurbelt, um Wärme vom Inneren des Körpers nach aussen abzutransportieren. Dazu muss das Herz mehr Leistung erbringen. Zudem verliert der Körper mit dem Schweiss, den er zur Abkühlung produziert, viel Wasser – auch das belastet das Herz. Denn um dickes Blut zu transportieren, braucht es mehr Schubkraft. So gesehen können wir uns auf den Winter freuen.

Aber auch eisige Temperaturen strapazieren die Gesundheit. Insbesondere Herzkranke sollten deshalb auch vermeiden, sich bei grosser Kälte körperlich zu verausgaben.

Das stimmt. Auch Kälte bedeutet eine Belastung für den Kreislauf. Bei Hitze wie bei Kälte tut unser Körper alles dafür, dass seine Kerntemperatur, also die Temperatur der Körpermitte, wo sich die wichtigsten Organe befinden, 37 Grad warm bleibt. Bei Kälte muss er also die Wärme im Inneren des Körpers festhalten. Die Hautdurchblutung wird deshalb gedrosselt und der Blutdruck steigt. Das Herz muss das Blut nun gegen einen grösseren Widerstand durch die Adern pumpen, was für den Herzmuskel und die Gefässwände Stress bedeuten kann. Zudem zittert der Körper, um Wärme zu produzieren.
 

«Evolutionär gesehen, eignen wir uns besser für die Wärme.»
Erich Hohenauer

Bei einer Umgebungstemperatur von molligen 27 Grad muss der Mensch unbekleidet weder kühlen noch heizen. Spricht dies nicht eher dafür, dass wir uns besser für die Wärme eignen?

Evolutionär gesehen ist dies sicherlich so. Denn die Ursprünge der Menschheit liegen ja in südlichen Breitengraden. Wir können uns aber nicht nur an Hitze, sondern eben auch an kalte Temperaturen relativ gut anpassen.

Können Kneippsches Wassertreten oder kaltes Duschen diese Anpassung fördern?

Ja, denn man kann sich an Kälte gewöhnen. Der Körper passt seinen Stoffwechsel sowie die Hautdurchblutung an und bildet mehr Unterhautfettgewebe. Insbesondere entsteht auch vermehrt sogenanntes braunes Fett im Körperinnern. Dieses kurbelt die körpereigene Wärmeproduktion an. Und schlussendlich wird auch die Körperkerntemperatur leicht justiert. Für all diese Anpassungen braucht es aber einen wiederkehrenden Kältereiz. Es ist wie beim Krafttraining: Regelmässigkeit ist das A und O. Ein einmaliges Eisbad im See bringt wenig und sollte nur mit Vorsicht durchgeführt werden.

«Eine positive Beeinflussung des menschlichen Abwehrsystems durch Kälte wird diskutiert, ist aber nicht erwiesen.»
Erich Hohenauer

Wer sich so abhärtet, wähnt sich vor Grippe und anderen Infektionskrankheiten sicher. Zu Recht?

Eine positive Beeinflussung des menschlichen Abwehrsystems wird diskutiert, ist aber nicht erwiesen. Denn das Immunsystem ist äusserst komplex. Womöglich kann man aber mit den wechselnden Kälte- Wärme-Reizen, wie etwa in der Sauna, das Herz-Kreislauf-System trainieren. Denn die Blutgefässe müssen sich dabei weiten und wieder verengen. Das verbessert womöglich die Hautdurchblutung und die Immunabwehr.

Tendieren Frauen zum «Gfrörli»?

Frauen frieren eher als Männer. Dafür gibt es drei biologische Gründe: Erstens verdanken Männer ihren Muskeln einen gewissen Kälteschutz. Denn Muskelzellen verbrennen Kalorien und erzeugen so Wärme. Zweitens haben Frauen eine dünnere Haut, sie kühlen deshalb eher aus. Und drittens verliert der weibliche Körper auch durch seine im Verhältnis zum Körpervolumen relativ grosse Körperoberfläche mehr Wärme.

Spielt die subjektive Empfindung auch eine Rolle?

Ja. Es ist ähnlich wie beim Schmerz: Was der eine schon als kalt empfindet, ist für andere noch ganz angenehm. Die Komfortzone bei der Temperaturempfindung ist sehr individuell.

Kälte kann auch heilsam sein. Sie kann Entzündungsreaktionen mit Schmerz, Rötung und Schwellung die Spitze nehmen. Etwa wenn man den verbrannten Finger sofort unter den Wasserhahn hält oder dem verstauchten Gelenk einen kühlenden Wickel verpasst. Kann Kälte noch mehr?

Kühlung als Therapie kennt man schon lange. Zum Beispiel kann man Warzen mit flüssigem Stickstoff vereisen. Hier dient die Kälte dazu, dass oberflächliche Hautzellen absterben. Bei Organtransplantationen macht Kälte das Transplantat länger haltbar. Und nach einem Herzinfarkt oder einem Hirnschlag senken Ärzte zum Teil als medizinische Schutzmassnahme die Temperatur des Gewebes leicht ab. Das schützt Organe, weil dadurch ihr Sauerstoff und Energieverbrauch sinkt. Ausserdem werden allfällige schädigende Prozesse auf Zellebene gebremst. Die Idee dahinter ist, den Schaden eines Infarktes quasi einzufrieren, damit er sich nicht weiter ausbreitet.

«Starke Kälte lindert bei einigen Rheumabetroffenen vorübergehend die Symptome.»
Erich Hohenauer

Neuerdings boomen sogenannte Kältekammern. Hier suchen zum Beispiel Schmerz- und Rheumageplagte Linderung oder auch Menschen, die schlecht schlafen.Ganzkörperkammern und Kühlkabinen erleben gerade ein Revival. Ziel dieser Kältekur bei Temperaturen von etwa minus 100 oder beinahe minus 200 Grad ist es, die Temperatur im Gewebe zu senken, um entzündliche Prozesse oder die Übertragung von Schmerzreizen zu bremsen. Die Wirkung ist allerdings noch nicht eindeutig wissenschaftlich erwiesen. Zumindest aber lindert die starke Kälte bei einigen Rheumabetroffenen vorübergehend die Symptome. Auch Schmerzpatienten berichten teilweise von einer Besserung.

Auch Sportlerinnen und Sportler versprechen sich etwas von Kältekuren.

Heute weiss man: Intensives und ungewohntes körperliches Training kann zu kleinen Verletzungen in der Muskulatur führen. Diese setzen Entzündungsprozesse in Gang, die unter Umständen die Leistungsfähigkeit eines Sportlers für mehrere Tage beeinträchtigen. Jeder kennt das als Muskelkater. Kurze Bäder in und 10 Grad kaltem Wasser dämpfen diese entzündlichen Prozesse und können den Leistungsabfall minimieren. Sportler erhoffen sich so eine schnellere Erholung.

Ist dies nur im Hochleistungssport relevant?

Bei jedem mehrtägigen Wettkampf kann eine Kältetherapie den kleinen, aber entscheidenden Vorteil bringen. Allerdings darf man sich die Kältebäder oder -packungen nach dem Sporttreiben keinesfalls selbst verordnen. Sondern nur gezielt, individuell und unter Kontrolle von geschultem Personal oder Medizinern. Denn falsch angewendet, kann sich Kälte auch negativ auf die Leistung auswirken.

Dr. Erich Hohenauer, 35, ist Rehabilitationswissenschaftler und arbeitet im Forschungslabor der Fachhochschule Südschweiz (SUPSI). Zudem ist er Dozent an der Internationalen Hochschule für Physiotherapie in Landquart (THIM). In seiner Forschung geht er insbesondere der Frage nach, wie sich Kälte auf den menschlichen Organismus auswirkt.

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