Hausarztpraxis der Zukunft

Hohe Kosten, Fachkräftemangel und neue Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten: Die klassische Hausarztpraxis ist im Wandel. Das Beispiel Sanacare zeigt: Es geht auch heute schon anders.

Text: Katharina Rilling; Foto: Sanitas

Ein Blick in die Schlagzeilen genügt: Die Kritik an hohen Kosten und Ineffizienz im Gesundheitssystem wächst. Die Dichte der Praxen nimmt ab. Immer weniger Menschen möchten Hausarzt oder -ärztin werden, es herrscht Fachkräftemangel – aus vielen Gründen.

Zum Beispiel: Wer will sich heute schon mit 35 auf eine Praxis bis zum Berufsende festlegen? Wer rund um die Uhr erreichbar sein? Alles alleine schultern? Frauen wie Männer wünschen sich mehr Flexibilität, mehr Möglichkeiten für Teilzeitarbeit sowie fachlichen Austausch. Gruppenpraxen können diese Bedürfnisse erfüllen. Sie entstehen aktuell gerade verstärkt in Ballungsräumen. Wie sie den Arbeitsalltag für Ärzte und Ärztinnen sowie die Betreuung von Patientinnen und Patienten verändern, zeigt das Beispiel der Sanacare Gruppenpraxen: 

Trend 1: Kooperation statt Einzelkämpfer – die Gemeinschaftspraxis

In grossen Gruppenpraxen arbeiten Ärzte und Ärztinnen im Angestelltenverhältnis ohne Umsatzbeteiligung und können so ihrem Traumberuf Hausarzt nachgehen und trotzdem ein Privatleben haben. Marc Jungi, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin FMH und Stellvertretender Geschäftsführer von Sanacare, zählt einen weiteren Vorteil auf: «Die zentralisierte Administration übernimmt zeitfressende Aufgaben wie Finanzen, IT und Facility Management. Ärzte und Ärztinnen haben dadurch mehr Zeit für ihre eigentliche Aufgabe: die Behandlung ihrer Patienten. Das entlastet enorm und spart Kosten.»

In dreizehn Sanacare Gruppenpraxen in neun Städten werden rund 120’000 Patientinnen und Patienten von über 250 Ärztinnen und Ärzten und Medizinischen Praxisassistentinnen und -assistenten (MPA) hausärztlich versorgt. Das bedeutet: viele Krankheitsfälle, viel Fachlichkeit, viel Austausch – und schliesslich eine steile Lernkurve mit hoher Behandlungsqualität.

Doch: Wird der Patient da nicht zur Nummer? «Im Gegenteil», so Jungi. «Jeder und jede hat einen eigenen Hausarzt hinterlegt, der sich verantwortlich fühlt. Bei komplexeren Fällen kann ein Behandlungsteam definiert werden.» So sei die Kontinuität besser gewährleistet als beim Hausarzt, der ja auch mal ausfalle und dann meist von Externen vertreten werde. In der Gruppenpraxis springt dann ein bekanntes Gesicht ein – und hat dank Digitalisierung jederzeit Zugriff auf die Patientenakte.

«Auch wenn der Trend klar hin zu Gemeinschaftspraxen geht: Einzelne Hausärzte und -ärztinnen werden nicht ganz verschwinden, denn auf dem Land ist die Patientendichte zu klein für grosse Praxen», prognostiziert Jungi. Dennoch müssten sich auch kleine Hausarztpraxen verändern, um der digitalen Entwicklung standhalten zu können.

Trend 2: Digitalisierung – weniger Besuche in der Praxis, intensiverer Austausch

Spricht man über die Arztpraxis von morgen, kommt man an der Digitalisierung nicht vorbei. Sie wird in Zukunft alle Bereiche der Praxis, von der Optimierung der Prozesse und der Prävention über die Behandlung bis hin zur Nachsorge, durchdringen. Das beginnt im Kleinen: Ersetzt die Online-Terminbuchung diejenige über das Telefon, entlastet dies schnell das ganze Team. Formulare könnten vom Patienten schon daheim statt vor Ort elektronisch erfasst werden. In der neuen Sanacare Praxis in Bern hält die Digitalisierung ebenfalls Einzug: Die Ärztinnen können beispielsweise via Online-Auftrag vom Behandlungszimmer aus bei den Praxisassistenten Medikamente anfordern. Diese werden dann per Rohrpost direkt in die Behandlungszone geschickt. Das spart Zeit und Wege, für den Patienten und das Behandlungsteam. 

In Zukunft wird die Digitalisierung aber an der Praxistür nicht enden: Privat helfen Online-Coaches beim gesunden Lebensstil. Wearables mit Sensoren überwachen den Gesundheitszustand, sammeln Echtzeitdaten und speisen diese direkt ins System der Arztpraxis ein. Künstliche Intelligenz schlägt Alarm, sobald die Daten von der Norm abweichen. Massnahmen werden so schneller eingeleitet, Erfolge lassen sich besser messen. 

Wenn eine Patientin Blutdruck und Blutzucker zu Hause misst, werden die Daten direkt in die Praxis gesendet. Auch über grosse Distanzen hinweg ist so etwa das Abhören der Herztöne möglich. Die Dosierung der Medikamente wird an die Daten angepasst und dem Medikamentenschrank direkt diktiert. Und wo es trotzdem den Austausch mit medizinischen Fachpersonen braucht: Videotelefonie ersetzt zeitraubendes Pendeln zum Arzt.  

Trend 3: Kompetenzverlagerung – breite Expertise nutzen

Ein weiterer Wandel wird sich weniger auf der digitalen als vielmehr auf der menschlichen Ebene abspielen: «Gesundheitsberatung und Pflege werden eine immer stärkere Rolle spielen. In skandinavischen Ländern werden sie bereits viel stärker einbezogen – mit Erfolg», weiss Marc Jungi. So muss der Arzt nicht immer Eintrittspforte sein, und Blutuntersuchungen können Apotheken, Spitex und Labore übernehmen – Stichwort: Chronic Care Management.

Bei Sanacare tragen Medizinische Praxiskoordinatorinnen in klinischer Richtung bereits viel Verantwortung und helfen Betroffenen, sich Wissen und Verständnis rund um ihre Erkrankung aufzubauen. Etwa bei der Ernährungsberatung. «So gleichen wir den Mangel an Fachkräften ein Stück weit aus.» Gemeinsam mit Patientinnen und Patienten entstehen so messbare Behandlungsziele und -pläne. Meist mit grossem Erfolg: Die Qualität ist hoch, obwohl Arztbesuche dadurch abnehmen. Die Zufriedenheit der Patienten und Patientinnen dagegen steigt.

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