Sprechstunde mit dem Roboter

Chatbots sind zwar noch jung, mittlerweile aber breit im Einsatz. Können sie uns auch helfen, ein gesundes Leben zu führen – und irgendwann vielleicht sogar Ärztinnen und Therapeuten ersetzen?

Text: Paul Drzimalla; Foto: Sanitas

«Wie kann ich Ihnen helfen?» So beginnen viele Gespräche. Immer öfter stellt diese Frage jedoch kein Mensch, sondern eine Maschine. Chatbots heissen die Helfer, mit denen sich 63 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer gemäss einer aktuellen Studie bereits unterhalten haben. Sie begrüssen uns auf Websites, in Apps oder sozialen Medien– also überall dort, wo wir mit der digitalen Welt interagieren. Onlineshops setzen sie schon lange ein, ebenso Feriendestinationen, Versicherungen und Verwaltungen. Und im Coronajahr machte gar ein Chatbot namens Replika von sich reden, mit dem isolierte Menschen eine romantische Beziehung eingehen können.

Der Chatbot als Arzt, Coach und Wissensquelle

Denkbare Anwendungen für Chatbots gibt es auch im Gesundheitswesen viele. Sie können – bis zu einem gewissen Grad – das Gespräch mit der Therapeutin oder dem Arzt ersetzen: Mittels eines strukturierten Dialogs stellen sie dabei Standardfragen, ähnlich, wie dies in der Sprechstunde geschieht. Als Gesundheitscoach kann ein Chatbot zum Beispiel bei Fragen zu Ernährung und Schlafgewohnheiten oder dem Umgang mit einer frisch diagnostizierten Krankheit weiterhelfen. Er kann übernehmen, was auch wir machen, wenn wir miteinander reden: Wissen vermitteln. Viele Menschen informieren sich heute zu Gesundheitsthemen im Internet. Unterwegs, am Arbeitsplatz oder abends auf dem Sofa. Und hier liegt der grosse Vorteil der Chatbots: ihre Verfügbarkeit. Dr. Chatbot hat immer Sprechstunde. Und ganz nebenbei erfüllt der digitale Helfer auch administrative Aufgaben. Langweilige Formulare erfasst ein Chatbot spielerisch über ein paar Fragen.

In der einfachsten Form gelingt der Dialog durch einen Algorithmus, der aus einer Liste vorgefertigter Antworten diejenige auswählt, die zur Frage der Nutzerin oder des Nutzers passt. Weiss der Chatbot nicht weiter, kann ein echter Mensch das Gespräch fortsetzen. Weiter gehen Chatbots, die auf künstlicher Intelligenz (KI) basieren. Sie analysieren die Texteingabe und geben auf Basis der gesammelten Daten eigene Antworten. Mit der Zeit «lernt» ein solcher Chatbot, immer gezielter auf die Sprache seines Gegenübers einzugehen und so zu einem «einfühlsameren» Gesprächspartner zu werden. Ein Beispiel dafür ist die erwähnte App Replika. Apropos Gespräch: Die Mehrheit der Chatbots ist heute textbasiert, doch es gibt auch sprachbasierte Varianten. Siri, Alexa und Co. sind letztlich ebenfalls Chatbots.

Chatbots in der Forschung

Wie die Chatbots selber ist auch die Forschung über ihren Nutzen im Gesundheitswesen noch sehr jung. Ein Team der ETH Zürich und der Universität St. Gallen hat deshalb MobileCoach entwickelt – eine Open-Source-Plattform, die Unternehmen und Forschende in aller Welt für die Entwicklung eigener Chatbots nutzen können. «Replizierbarkeit ist in der Wissenschaft enorm wichtig», sagt Dr. Tobias Kowatsch, der MobileCoach initiiert und mitentwickelt hat. «Jede Person kann grundsätzlich nachvollziehen, wie die Plattform funktioniert.»

Auch MobileCoach ist regelbasiert, kann sich aber frühere Interaktionen merken und auf Sensordaten von Smartwatches etc. zugreifen. Damit sich Chatbots in der Medizin durchsetzen, braucht es laut Kowatsch mehr Forschung. «Sind einmal belastbare Daten zur Wirksamkeit verfügbar, wird die Akzeptanz sowohl bei den Usern als auch beim Gesundheitspersonal steigen.»

Jemand, der MobileCoach anwendet, ist Sandra Hauser-Ulrich, die an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft ZHAW im Bereich digitale Gesundheitsanwendungen im Coaching forscht. In einer Studie setzte sie einen Chatbot bei Menschen mit chronischen Schmerzen ein. Die Ergebnisse erstaunten sie: «Obwohl die Teilnehmenden wussten, dass sie mit einer Maschine kommunizieren, haben sie eine Beziehung aufgebaut.»

Allerdings gebe es Grenzen: «Ein regelbasierter Chatbot kann nicht auf spontane Gedanken reagieren. Deshalb wird er auch nie eine echte Therapie mit einem Menschen ersetzen.» KI-Chatbots hingegen seien noch nicht so weit,ein längeres Gespräch aufrechtzuerhalten – zu gross ist die Vielfalt der menschlichen Sprache mit ihrer immensen Menge an Begriffen und Redewendungen. «Die KI scheitert am Plaudern», so Hauser-Ulrich. Wer also beim Arzt einen Schwatz halten will, kommt um eine echte Sprechstunde nicht herum. Zumindest vorläufig. 

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