Schöne neue Welt: Wie wir 2050 leben

Früher war alles besser? Versuchen wir es doch einmal mit: Die Zukunft wird gut! Denn vieles könnte in 30 Jahren einfacher – und angenehmer – sein als heute.

Text: Helwi Braunmiller; Foto: iStock

Langsam und leise gleiten die Jalousien automatisch nach oben, die Fenster geben den Blick frei auf einen strahlend hellen Morgen. Nicolas legt seinen E-Reader zur Seite, auf dem er ein Buch über seine Generation liest: «Wie die Generation Z die Zukunft gestaltete». Als Nicolas Anfang der 2020er-Jahre Teenager war, nahm die Bewegung der Klimajugend gerade Fahrt auf. Dann kam Corona. Und alles wurde Stück für Stück ein bisschen anders.

Heute ist Nicolas 41, es ist Mai im Jahr 2050 – und inzwischen 7.30 Uhr. Zeit, um aufzustehen. Nicolas' Lebensgefährtin Mia kann sich noch einmal umdrehen. Flexible Arbeitszeiten und die 20-Stunden-Woche sind schon lange Normalität, denn Maschinen und Computer nehmen den Menschen zunehmend zeitaufwendige Fleissarbeit ab. Nicolas schwingt sich aus dem Bett, die siebenjährige Tochter Sara leistet ihm verschlafen in der Küche Gesellschaft.

… apropos: Dating, Verhütung und Sex der Zukunft

Nicolas und Mia haben sich – wie fast alle mit ihnen befreundeten Paare – über eine Datingplattform kennengelernt. Das kannten vom Prinzip her mit Tinder & Co. auch ihre Eltern schon. Deren Nachfolger, das «Omni-Dating», läuft aber nicht mehr via aktive Suche auf der Datingplattform, sondern einfach so nebenher. Und weil dank Big Data und intelligenter Algorithmen mehr und bessere Daten zur Verfügung stehen, kommt im Jahr 2050 ein virtueller Match einem echten Match schon deutlich näher.

Übrigens: Hormone wie die Pille würde Mia nicht mehr schlucken zur Verhütung. Bevor Tochter Sara in der Planung war, verhütete das Paar mit Nanofasertüchlein – filigran gewebten kleinen Kunststofftüchlein, die für die Trägerin unspürbar an den Scheidenwänden haften, bis sie sich nach einiger Zeit auflösen. Sie fangen Spermien ab, setzen aber auch Stoffe frei, die sowohl Spermien als auch sexuell übertragbare Viren abtöten.

Als Familienvater durch und durch hat Nicolas das Obst fürs Müesli gestern in einer der vertikalen Farmen gekauft, die seit einiger Zeit überall in der Stadt an den Hochhausfassaden klimaneutral Frischkost produzieren. Nicolas erinnert sich noch gut, wie seine Mutter während der Corona-Zeit 2020 vermehrt in Dorf- und Hofläden einkaufte. Der Boom regionaler Erzeugnisse liess in den Folgejahren neue ökologische Formen der Landwirtschaft populär werden.  

ZVG

Künstliche Intelligenz im Alltag

Beim Zähneputzen im Bad geht es beim Blick in den Spiegel um mehr als die Optik. Der Spiegel entschlüsselt den aktuellen Gesundheitsstatus von Nicolas und Sara mittels Haut- und Augenanalyse. Er registriert, dass Nicolas Blutdruck wieder etwas zu hoch ist, und übermittelt die Daten automatisch an dessen Arzt. Später wird dieser deswegen Kontakt mit seinem Patienten aufnehmen. Praktisch ist das, zeitsparend und persönlich. Tochter Sara bescheinigt der Spiegel übrigens Schlafmangel. Heimliches Lesen unter der Bettdecke hat auch 2050 Folgen.

Nun aber ab in die Klamotten, raus aus der Tür und rein in den Tag. Lichtschalter? Gibt’s nur noch im Museum. Strom, Heizung, Wasser sind digital gesteuert – «Ubiquitous Computing» nennt sich das Prinzip der Mikroprozessoren, die unsichtbar in fast alle Alltagsgegenstände eingebettet sind und Informationen austauschen. Zwei Menschen befinden sich im Raum, der Backofen ist an? Die Sensoren ermitteln, dass Körperwärme und Backofen die Raumtemperatur erhöhen. Die Heizung weiss: Sie kann getrost die Leistung runterfahren.   

Weniger Individualverkehr, mehr Lebensqualität

Den Weg zur Arbeit und in die Schule legen Vater und Tochter per Fahrrad, autonom fahrenden Zügen und Bussen und zu Fuss zurück. Der Verkehr ist «intermodular»: Menschen wechseln flexibel und unkompliziert die Fortbewegungsmittel. Ein eigenes Auto besitzt kaum jemand mehr, dafür stehen Carsharing-Flotten bereit. Teilen ist das neue Haben. Nicolas und Sara steigen nach zwei Stationen wie üblich auf Velos um, die überall stationiert sind. Fahrräder sind beliebt, vor allem seitdem Innenstädte autofrei sind. Mehr Platz, weniger Abgase: Bewegung im Alltag macht da gleich viel mehr Spass. Das zeigt sich auch in der abnehmenden Zahl Übergewichtiger. 

Während Sara in die Schule abbiegt, fährt Nicolas weiter zu seinem Co-Working-Space in einer ehemaligen Fabrikhalle. Seit der Pandemie der 2020er-Jahre ist das Arbeiten in klassischen Firmengebäuden selten geworden. Nicolas trifft dort auf seinen Arbeitskollegen Simon, die anderen Kolleginnen und Kollegen seines Teams – Lakshana, Han, Inès und Abiba – werden sich aus den verschiedensten Teilen dieser Erde später digital zum Teammeeting zuschalten. Er und die anderen AI-Operations-Berater entwickeln ein 3D-Gehirnmodell, dank dem Neurochirurgen mithilfe künstlicher Intelligenz komplexe Operationen am Gehirn noch besser virtuell vorbereiten und üben können – so lange, bis jeder Handgriff sitzt.   

… apropos: Spital der Zukunft

Länger leben dank individualisierter Medizin

Später schaut Nicolas auf dem Heimweg bei seinem Grossvater Stefan vorbei. Der 92-Jährige lebt immer noch daheim. Zahlreiche mobile Serviceleistungen, auf die wachsende Zahl älterer Menschen ausgerichtet, machen dies möglich. Und auch das Internet der Dinge: Weil sein Kühlschrank vernetzt ist, muss sich Stefan nicht um die Einkäufe kümmern. Wenn er vergisst, die Herdplatte auszuschalten, schlägt diese Alarm – auch bei Nicolas. Ein Sensor misst die Bewegungsaktivität und ruft Hilfe, sollte Stefan einmal stürzen. Seine vor zehn Jahren diagnostizierte Krebserkrankung hat ein Standard-Bluttest beim jährlichen Check-up aufgespürt. Seither bekommt er Medikamente, die seinen Krebstyp so individuell und altersgerecht behandeln, dass sie ihn nicht belasten – die Medizin hat in den letzten Jahrzehnten aus der Fülle gesammelter Daten und dank künstlicher Intelligenz viel gelernt. Personalisierte Medizin ist längst nicht mehr zu kompliziert und zu teuer. Im Gegenteil. Es zeigt sich: Je optimierter eine Behandlung auf Patienten zugeschnitten ist, desto seltener sind Folgeerkrankungen.

… apropos: Medizin der Zukunft

Als Nicolas bei sich zu Hause ankommt, ist der Haushalt erledigt: Die durch den Kühlschrank bestellten Lebensmittel stehen vor der Tür, der Saugroboter hat die Frühstückskrümel entfernt, Sensoren haben die Wohnung wohl temperiert. Nicolas setzt sich in seinen Sessel und legt die Beine hoch. Nur die Zeit vertreiben, bis der Rest seiner Familie eintrifft, muss er sich immer noch selber.

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