Dossier: Familie

Einsamkeit im Alter

Jede dritte Person über 65 fühlt sich einsam. Im hohen Alter steigt diese Zahl sogar noch an. Der Übergang in die Pension sowie Todesfälle im Umfeld können das Isolationsgefühl zusätzlich verstärken. Doch was hilft dagegen und welche Unterstützung können Angehörige bieten?

Text: Nicole Krättli; Foto: iStock

Manchmal trifft es einen gänzlich unverhofft: Eben noch war man dabei, hektisch Lebensmittel einzukaufen, die Wäsche zu falten oder den Boden zu putzen, und plötzlich sitzt man da … Alles ist erledigt und es wird still. Zu still. Erdrückend still. Niemand ruft an, niemand schreibt, niemand schaut vorbei. Man blickt nach draussen in eine hektische Welt, in der alle von A nach B hasten, Pläne schmieden, Freunde treffen. Der Körper fühlt sich schwer an. Die Gedanken beginnen zu kreisen. 
Jede:r von uns hat Momente beklemmender Einsamkeit erlebt. Manchmal nur für ein paar wenige Stunden, manchmal aber auch über Tage, Wochen, Monate. Jede dritte Person in der Schweiz fühlt sich einsam. Im hohen Alter steigt diese Zahl noch dramatisch an.

Einsamkeit ist häufig subjektiv

Die Wissenschaft unterscheidet zwischen subjektivem Empfinden von Einsamkeit und tatsächlicher sozialer Isolation. Das eine kann allerdings so schwerwiegend sein wie das andere, erklärt Corinne Hafner Wilson, Fachverantwortliche für Hilfen zu Hause bei Pro Senectute Schweiz. «Das Gefühl von Einsamkeit entsteht, wenn die Art und Qualität der Beziehungen nicht mit den eigenen Bedürfnissen übereinstimmt.» Konkret bedeutet das: Selbst Menschen, die von Familienmitgliedern oder Freunden umgeben sind, können sich einsam fühlen, während introvertierte Einzelgänger das Alleinsein unter Umständen nicht als Einsamkeit empfinden, sondern als willkommene Pause nach energieraubenden sozialen Interaktionen.

Trotzdem erhöht die soziale Isolation das Risiko, sich einsam zu fühlen, massiv. Schon heute zählt die Schweiz rund 1,4 Millionen Einpersonenhaushalte. Bis im Jahr 2050 sollen es 1,8 Millionen sein. Zwei von fünf Ehen werden geschieden, die Geburtenziffer nimmt seit Jahren ab. Zukunftsforscher befürchten deshalb, dass sich mit dieser weiter fortschreitenden demografischen Entwicklung das Phänomen der Vereinsamung noch zuspitzen wird. Hinzu kommen im Alter verschiedene einschneidende Erlebnisse. «Der Eintritt in die Pension löst bei vielen Menschen eine Leere aus», weiss Pro-Senectute-Spezialistin Hafner Wilson. Noch gewichtiger sind das Versterben des Partners/der Partnerin oder der engsten Freund:innen. «Auch gesundheitliche Probleme, die zum Rückzug aus dem Sozialleben führen, können Einsamkeit im Alter begünstigen», fährt Hafner Wilson weiter.

Einsamkeit kann körperliche Beschwerden auslösen

Einsamkeit ist nicht nur emotional belastend, sondern hat auch ernsthafte physische und psychische Folgen. Gemäss dem US-amerikanischen National Council on Aging ist sie so schädlich wie der tägliche Konsum von 15 Zigaretten. Chronische Einsamkeit kann zudem das biologische Warnsystem des Körpers aktivieren. Das führt zu einem Anstieg des Stresshormons Cortisol, was wiederum das Risiko für Bluthochdruck, Herzinfarkte, Schlaganfälle und Demenz erhöhen kann, wie Forschende des schwedischen Karolinska-Instituts herausgefunden haben.

Einsamkeit hat im Übrigen auch unmittelbare Auswirkungen aufs Gehirn. Forschende des Instituts für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich sind ausserdem zum Schluss gekommen, dass starke Rücken-, Nacken- oder Schulterschmerzen bei hochgradig isolierten Personen fast dreimal häufiger vorkommen als bei gut integrierten. Das Risiko für ausgeprägte Schlafstörungen liegt zudem viermal höher, während das Risiko für eine mittelschwere bis schwere Depression um das Achtfache ansteigt. 

Umso wichtiger ist es, so Corinne Hafner Wilson, Strategien zu entwickeln, um der Einsamkeit vorzubeugen oder sie zu bekämpfen.

Tipps für Menschen, die sich einsam fühlen

Kommunikation

Sprechen Sie mit jemandem über Ihre Gefühle. Oft teilen andere Ihre Erfahrungen, und das Gespräch darüber kann verbinden und Trost spenden.

Stimulierende Aktivitäten

Finden Sie Aktivitäten oder Hobbys, die Ihnen Freude bereiten, und integrieren Sie diese in Ihren Alltag. Das kann sowohl Ihr Wohlbefinden steigern als auch Gelegenheiten bieten, neue Menschen kennenzulernen.

Information

Informieren Sie sich über lokale Veranstaltungen oder Gruppentreffen. Veranstaltungen bieten eine hervorragende Gelegenheit, mit Gleichgesinnten in Kontakt zu treten.

Professionelle Hilfe

Zögern Sie nicht, professionelle Unterstützung zu suchen, wenn Sie das Gefühl haben, allein nicht weiterzukommen. Fachstellen können individuell beraten und Hilfestellungen anbieten.

Tipps für Angehörige von Menschen, die sich einsam fühlen

Aufmerksam zuhören

Hören Sie zu und zeigen Sie Verständnis, wenn Sie bemerken, dass sich jemand in Ihrem Umfeld zurückzieht oder über Einsamkeit spricht. Oft ist das aufmerksame Zuhören schon eine grosse Hilfe.

Interessen erkunden

Erkundigen Sie sich nach Interessen oder früheren Hobbys der betroffenen Person. Ermutigen Sie sie, diese wieder aufzunehmen, da dies helfen kann, neue Kontakte zu knüpfen und die Lebensfreude zu steigern.

Auf professionelle Hilfe hinweisen

Ermutigen Sie die betroffene Person dazu, sich professionelle Hilfe zu suchen, wenn Ihnen dies angemessen erscheint. Manchmal kann eine aussenstehende Fachperson besser helfen als die nächsten Angehörigen. 

Anlaufstelle bei Fragen

Seit 100 Jahren setzt sich Pro Senectute für das Wohl älterer Menschen ein. Die grösste Fach- und Dienstleistungsorganisation für Seniorinnen und Senioren in der Schweiz bietet neben Beratungen auch vielfältige Veranstaltungen, Aktivitäten sowie Kurse an – egal ob Sie sich für Bewegung und Sport, Bildung oder Kultur interessieren.

Mehr erfahren

Teilen