Dossier: Kinderwunsch

Social Freezing: Wenn der Kinderwunsch auf Eis liegt

Mit Social Freezing können Frauen den Alterungsprozess ein Stück weit austricksen. Prof. Brigitte Leeners, Direktorin der Klinik für Reproduktions-Endokrinologie am Universitätsspital Zürich, im Gespräch über Social Freezing in der Schweiz und warum es Sinn macht, sich schon früh über die eigene Fruchtbarkeit zu informieren.

Text: Katharina Rilling; Foto: iStock

Prof. Leeners, wenn ich meine Eizellen einfrieren lasse, wo liegen sie dann?

Sie werden innert weniger Sekunden eingefroren und in mehrfach gesicherten Stickstofftanks gelagert. Bei uns am USZ sind sie extrem gut geschützt: Wir haben Warnsysteme bei Stromausfall, brandschutzgesicherte Räume und der technische Dienst ist Tag und Nacht verfügbar. So können Sie sicher sein, dass die Eizellen zur Verfügung stehen, wenn Sie sie brauchen. 

Wie lange werden eingefrorene Eizellen aufbewahrt?

In der Schweiz darf man Eizellen zehn Jahre lang lagern.

Spielt es für die Qualität der Eizellen eine Rolle, ob ich sie nach fünf oder erst zehn Jahren auftauen lasse?

Nein. In den USA gibt es sogar Fälle, bei denen eingefrorene Eizellen nach rund 30 Jahren eingesetzt wurden. Die zehn Jahre sind vor allem eine politisch-rechtliche Entscheidung und weniger eine medizinische. 

Ist es möglich, dank Social Freezing erst mit 50 Jahren oder später Kinder zu bekommen?

Erst mal: Das Schöne ist, dass Frauen heute auch in höherem Alter gesünder sind als früher. Natürlich muss man, wenn man eine Schwangerschaft anstrebt, den Gesundheitszustand sorgfältig prüfen. Wir klären ab dem Alter von 45 Jahren sehr genau ab, wie hoch das Risiko bei einer Schwangerschaft wäre. 

Aber möglich wäre es …

Natürlich limitiert uns die Biologie trotz allem. Denn je näher eine Frau ans Ende ihrer Fruchtbarkeit kommt, desto schwieriger wird es, genügend reife Eizellen zu gewinnen. Im Schnitt führt ungefähr jede sechste Eizelle zu einer Schwangerschaft. Optimalerweise entnimmt man ca. 15 Eizellen, aber nur reife Eizellen können genutzt werden. Ein Nachreifen ausserhalb des Körpers ist nur schwer möglich. Leider sind nie alle Eizellen reif, die wir gewinnen. Das heisst, man braucht häufig mindestens zwei Durchläufe, um genügend reife Eizellen zu erhalten.

Also: Um mit 50 Jahren schwanger zu werden, müsste man die Eizellen mit 40 eingefroren haben. Das ist nicht unmöglich, aber auch nicht einfach. Und bei einer 50jährgen Mutter gibt es natürlich ausgeprägte Risiken für Mutter und Kind, die sehr klar für Schwangerschaften in jüngerem Alter sprechen.

Wann ist der ideale Zeitpunkt für Social Freezing?

Eine Frau hat mit 25 das ideale Alter, um schwanger zu werden. Bis etwa 35 bleibt die Wahrscheinlichkeit auf einem sehr hohen Level. Das ist auch das Alter, in dem die meisten Eizellen eingefroren werden. Die Frauen machen sich nun Gedanken über das Thema. Die meisten, die zu uns kommen, haben noch keinen passenden Partner gefunden. Seltener möchten sie sich erst mal, ohne die tickende biologische Uhr zu hören, um ihre Karriere kümmern. Sie möchten sich vom Stress, dass es irgendwann zu spät ist, befreien und sich die Möglichkeit, Kinder zu bekommen, offenhalten. 

Ist die Behandlung für jede Frau geeignet?

Viele machen sich vorher Sorgen, aber wenn sie den Prozess kennen, ist das meist mit einer grossen Entspannung verknüpft, da sie merken, dass die Belastung für den Körper nicht so hoch ist. Die Risiken beziehen sich eher auf die Schwangerschaft, die dann folgen könnte: Gibt es zum Beispiel Vorerkrankungen?

Wenn eine Schwangerschaft zu gefährlich wäre, macht Social Freezing keinen Sinn. Gleichzeitig bedeutet eine Behandlung Aufwand und verursacht Kosten für etwas, was man später nicht in jedem Fall brauchen wird.

Frauen sollten vor allem in der Stimulationsphase möglichst gesund leben: während und vor der Behandlung nicht rauchen, Medikamente sorgfältig prüfen und möglichst wenig Alkohol trinken – dies beeinflusst die Qualität der Eizellen. 

Welche Nebenwirkungen gibt es?

Fast keine. Man fühlt sich in der Vorbereitungsphase vielleicht etwas reizbar und müde. Die Stimulationsphase mit Spritzen ist lästig, hat aber keine wesentlichen Nebenwirkungen. Die Hormone werden von den reifenden Eibläschen selber produziert, das heisst, es handelt sich um natürliche Hormone aus dem eigenen Körper. Der Hormonspiegel ist zwar höher, da wir mehrere statt nur einer Eizelle reifen lassen, aber immer noch wesentlich niedriger als während einer Schwangerschaft. 

Was ist Social Freezing?

Social Freezing ist das Einfrieren unbefruchteter Eizellen aus nicht medizinischen Gründen. Die Behandlung unterscheidet sich vom sogenannten Medical Freezing, das schon länger bei Krebspatientinnen durchgeführt und auch von den Krankenkassen bezahlt wird. 

Fakt ist: Anzahl und Qualität der Eizellen nehmen mit zunehmendem Alter ab. Um Frauen auch zwischen 30 und 45 eine hohe Flexibilität bei der Familienplanung zu ermöglichen, wird seit einigen Jahren Social Freezing angeboten. Nach einer hormonellen Stimulationsbehandlung werden mehrere reife, unbefruchtete Eizellen gewonnen und eingefroren. Diese kommen dann zum Einsatz, wenn die Frau selber keine reifen Eizellen mehr produziert. 

Welchen Prozess muss die Frau durchlaufen, wenn sie sich für Social Freezing entscheidet?

Die intensive Phase dauert rund zwei Wochen, in denen sie drei bis fünf Termine wahrnimmt. Zu Beginn klären wir ab, ob es grundsätzliche Bedenken gibt, entnehmen Blut und untersuchen die Frau gynäkologisch. Ausserdem klären wir sie über den genauen Ablauf auf.

Mit der Regelblutung beginnt die Vorbereitungsphase meist mit Progesteron-Tabletten. Der Ultraschall zeigt, wie viele Eibläschen sich in diesem Zyklus in Startposition befinden. Anschliessend startet die rund 9- bis 13-tägige Stimulationsphase. Die Patientin kann sich das Medikament daheim selber spritzen. Zwischendurch gibt es Ultraschall-Kontrolluntersuchungen und man prüft, wie viele Eibläschen angesprochen haben.

Die Eizellentnahme findet unter Narkose oder Schmerzbetäubung statt. Nun sieht man, welche Eizellen tatsächlich reif sind, und friert diese am gleichen Tag ein. Etwa 14 Tage später kommt es zu einer Blutung und der Prozess ist abgeschlossen. 

Leiden die Frauen während und nach der Behandlung an Schmerzen?

Die Eierstöcke können sich bemerkbar machen, wenn die Eibläschen ihre maximale Grösse erreicht haben. Ein normaler Eierstock ist 3-4 cm gross. Dadurch, dass mehrere Eibläschen parallel reifen, sind die Eierstöcke deutlich vergrössert. Das spüren einige Frauen. Beim Holen der Eibläschen kommt es manchmal zu Einblutungen in die leeren Eibläschen, die wie blaue Flecken eine Weile brauchen, bis sie wieder aufgelöst sind. Bis auf den Tag der Eizellentnahme kann man aber an allen Tagen arbeiten gehen. Von Sport mit ruckartigen Bewegungen raten wir für ein bis zwei Wochen ab.

Wie viel kostet Social Freezing? 

Wir gehen von rund 4000 bis 5000 Franken aus, plus 1000 Franken für Medikamente. Entscheidet man sich fürs Einsetzen kommen nochmals 2000 bis 3000 Franken hinzu. Dabei kann man auf die Reserve an Eizellen zurückgreifen und mehrere Versuche starten.

Kann man eigentlich selber erkennen, wann die Fruchtbarkeit abnimmt? Zum Beispiel an einer unregelmässigen Periode?

Nein. Wenn die Periode mit 50 aussetzt, ist dies am ehesten durch die Wechseljahre bedingt. Aber mit 30 kann es viele Gründe geben, warum der Zyklus unregelmässig ist. Ich empfehle Patientinnen deshalb, schon früh eine Standortbestimmung über die eigene Fruchtbarkeit machen zu lassen.

Ihr Rat, wenn es um Social Freezing und Fruchtbarkeit geht?

Ich bin grosser Fan der frühzeitigen Abklärung. Leider ist das in vielen Praxen noch nicht etabliert. Aber: Wir kennen das Problem der vorzeitigen Wechseljahre und sehen in unserer Klinik leider immer wieder betroffene junge Frauen. Das ist sehr bitter. Dann ist nämlich eine Eizellenspende die einzige Chance auf eine Schwangerschaft.

Dabei lässt sich die Fruchtbarkeit relativ einfach abschätzen, indem man das Anti-Müller-Hormon im Blut bestimmen lässt. Dieses gibt Aufschluss darüber, wie es so ungefähr mit der Eizellreserve aussieht. Im empfehle Frauen um die 30, den Wert mindestens einmal und je nach Ergebnis eventuell anschliessend in grösseren Abständen erneut prüfen zu lassen. Nur so erhalten sie einen Hinweis darauf, wie viel Zeit ihnen noch für eine Schwangerschaft bleiben könnte.

Möchte man dies nicht wissen, ist das natürlich auch völlig in Ordnung. Aber vielleicht ist Frau doch froh über die Chance, gegebenenfalls noch etwas tun zu können und somit die Fäden selber in der Hand zu halten.

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