Plötzlich Eltern
Kinder sollen ihre Eltern in einen Zustand ganz besonderen Glücks versetzen. Doch oft ist das Gegenteil der Fall. Der Psychoanalytiker Peter Schneider und die Psychologin Valentina Anderegg gehen der Frage nach, was es mit dem sogenannten Elternparadox auf sich hat.
Peter Schneider, Sie sind Vater eines 27-jährigen Sohnes. Hat Laszlo Sie glücklich gemacht?
Ja, von Anfang an. Wobei ich jetzt nicht behaupten möchte, dass ich dank meines Sohnes einen 27 Jahre anhaltenden exaltierten Glückszustand erlebt habe. Aber er hat meine Frau und mich wirklich immer wieder sehr beglückt. Ich könnte gerade wieder heulen, wenn ich daran denke, wie ich mich fühlte, als ich ihn zum ersten Mal sah.
Das klingt schon fast nach einer Idylle.
Wir hatten tatsächlich ideale Bedingungen. Meine Frau konnte nach einer Kaiserschnittentbindung drei Wochen im Spital bleiben. Damals musste noch nicht alles husch, husch gehen, und wir erlebten eine überaus schöne Zeit.
Und dann?
Dann sind wir mit unserem kleinen Wesen im Körbchen nach Hause gegangen und kamen uns plötzlich ziemlich verloren vor. Wo ist denn, bitte schön, die Gebrauchsanweisung?, fragten wir uns. Insbesondere weil Laszlo plötzlich viel mehr schrie. Jetzt begann die Plackerei, und es wurde ziemlich anstrengend. Aber deshalb gleich von Unglück zu sprechen, wäre mir nicht in den Sinn gekommen.
Die Geburt des ersten Kindes beschert den Eltern nicht nur Glücksgefühle, sondern auch tief greifende Veränderungen, die sich nur mit wenigen Ereignissen im Leben vergleichen lassen. Aus zwei werden drei, mitunter auch vier. Mit Ruhe, Ungebundenheit und frei verfügbaren Stunden ist es für lange Zeit vorbei. Stattdessen dominieren Kindergeschrei, Schlafmangel, Überforderung, manchmal gar Verzweiflung. Denn die meisten Frauen und Männer stolpern nahezu unvorbereitet in diesen Lebensabschnitt, der ihren bisherigen Alltag auf den Kopf stellt.
Die Fachwelt spricht von einer «sensiblen Phase der Paarbeziehung», über die es eine ganze Reihe von Studien gibt:
- Der englische Wirtschaftswissenschafter Andrew Oswald befragte sowohl Eltern wie auch kinderlose Paare und ermittelte, dass Kinder uns zwar nicht unglücklich, aber auch nicht unbedingt glücklich machen. Eltern sind umso unzufriedener, je niedriger ihr Einkommen ist.
- Der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete US-Verhaltensforscher Daniel Kahneman fragte 900 texanische Mütter nach ihren Lieblingsbeschäftigungen. Die überraschende Erkenntnis: 15 Tätigkeiten wie Shoppen, Fitten und Fernsehschauen, und sogar Waschen und Putzen sind beliebter als das Betreuen der Kinder.
- In der Schweiz wird aktuell im Rahmen der Nationalfondsstudie «Paare werden Eltern» untersucht, wie sich die Partnerschaft im Übergang zur Elternschaft verändert. Obwohl die Auswertung noch andauert, kann die Zürcher Psychologin Valentina Anderegg bereits eine erste Erkenntnis präsentieren: Auch hiesige Frauen und Männer erleiden mit der Elternschaft eine Einbusse an Paarzufriedenheit: «Im Durchschnitt sinkt die Zufriedenheit um 15 bis 18 Prozent.»
Mit ihren Kollegen befragte Anderegg von der 27. Schwangerschaftswoche bis 40 Wochen nach der Geburt 284 Paare, die erstmals Eltern wurden. Die Forscherin betont die grosse Streubreite: «Es gibt Paare, denen es nach der Geburt ihres Kindes besser geht als früher, andererseits aber auch solche, die ihre Situation deutlich unbefriedigender erleben.»
Peter Schneider, wieso verknüpfen wir eigentlich die Geburt eines Kindes derart eng mit Erwartungen grössten Glücks?
Ich weiss nicht, ob jemand die Anstrengungen, die mit einem Säugling verbunden sind, auf sich nehmen würde, wenn es nicht diese teilweise wirklich unrealistischen Vorstellungen von Glück gäbe. Seien wir ehrlich: Es gibt fast nichts Langweiligeres, als einen Tag mit einem Baby zu verbringen. Da braucht es eine gewisse Verklärung, um sich freiwillig in eine solche Situation zu begeben.
Die Werbung deckt uns täglich mit Bildern glücklicher Familien zu: strahlende Mütter, fürsorgliche Väter, süsse, saubere Kinder. Da muss doch jedes Elternpaar in einen Riesenstress geraten, bei dem sich das Glück nicht augenblicklich einstellt.
Das glaube ich auch. Aber das mit dem Glück und dem Unglück ist eine sehr komplexe Geschichte. Wer eine schwere Krankheit hat, die ihn unglücklich macht, hofft, dass sie verschwindet. Das funktioniert in Familien so nicht. Ein Rückgaberecht für Kinder gibt es nicht. Vielleicht muss man Elternglück am ehesten mit einem Zustand vergleichen, in dem Mütter und Väter die vielen Belastungen, die ihnen ihre Kinder bescheren, wegstecken können, ohne die Freude an ihrem Nachwuchs zu verlieren.
Inzwischen gibt es aber Frauen, die sich öffentlich dazu bekennen, ihre Mutterschaft zu bereuen. Im Internet wimmelt es von Einträgen zum Stichwort Regretting Motherhood.
Ja, es kann passieren, dass Frauen erst mit der Geburt eines Kindes realisieren, dass sie besser niemals Mutter geworden wären. Diese Frauen werden in aller Regel trotzdem das Nötige für ihre Babys tun, aber es ist natürlich eine ernüchternde Erkenntnis.
Was können Kinder einem Paar denn konkret geben?
Ich glaube, die Kleinen können uns helfen, unseren Liebesüberschuss loszuwerden. Es gibt Leute, denen reicht dazu ihr Partner, anderen ihr Hund. Ein Kind ist auf jeden Fall eine gesellschaftlich akzeptierte Möglichkeit.
«Ich glaube, die Kleinen können uns helfen, unseren Liebesüberschuss loszuwerden. Es gibt Leute, denen reicht dazu ihr Partner, anderen ihr Hund.» »
Vielleicht versöhnen uns Kinder ja auch mit unserer Sterblichkeit, indem sie über unser Dasein hinausweisen.
Das ist zwar ein Klischee, aber wohl ein richtiges. Ja, Kinder können einem Perspektive verleihen. Ganz konkret: Von einem gewissen Alter an ist man doch froh, wenn man weiss, wem man seinen Besitz vererben kann, auch wenn es sich dabei nur um Bücher handelt, die einem viel bedeuten.
Mehr ist es nicht?
Die Idee der Unsterblichkeit durch Fortpflanzung ist doch arg biologisch. Es scheint mir eine sehr merkwürdige Idee, dass ich in meinem Sohn real weiterlebe. Gleichwohl gibt es im Alter den starken Wunsch, dass es so sei, und der verdichtet sich dann zu dem entsprechenden Gefühl.
Was halten Sie von dem Gedanken, dass Kinder ihre Eltern in der gemeinsamen Sorge für den Nachwuchs auf schöne Art binden?
Heute würde ich tatsächlich sagen: Gemeinsam dieses Kind auf die Beine gestellt zu haben, hat meine Frau und mich verbunden. Aber ich könnte auch stundenlang Situationen aufzählen, in denen wir uns in den vergangenen 27 Jahren scheusslich gekracht haben wegen unserem Sohn.
Die Psychologin Valentina Anderegg hingegen konstatiert: «Das Kind als Kitt funktioniert meist nicht.» Aus der Forschung wisse man, dass es verschiedene Risikofaktoren gibt, die frischgebackene Eltern zusätzlich belasten. Paare, die schon vor der Geburt mit ihrer Partnerschaft unzufrieden waren, werden nach der Niederkunft häufig noch mehr Anlässe für Streit und Reibereien finden. Im Gegensatz dazu sind jene Paare im Vorteil, die schon in der kinderlosen Zeit eine befriedigende Kommunikation pflegen und sich gegenseitig unterstützen.
Eltern hätten es besonders nötig, miteinander zu reden und – ganz wichtig – sich auch als Liebespaar nicht aus den Augen zu verlieren, sagt die Psychologin. Wer das schaffe, sei gewappnet, um die Herausforderungen im Übergang zur Elternschaft zu meistern und Zufriedenheit zu erlangen.
Peter Schneider, welche Voraussetzung ist Ihrer Meinung nach entscheidend, damit Elternschaft gelingt?
Ich glaube, dass Eltern im besten Fall über so etwas wie Meta-Glück verfügen: über eine Art Glücksdach, unter dem sie die alltäglichen Prüfungen mit Kindern bestehen können, ohne unglücklich zu werden. Vielleicht könnte sie auch der Gedanke trösten, ja, regelrecht beglücken, dass die entbehrungsreichen Jahre des Elternseins vorbeigehen und ihr Nachwuchs dann hoffentlich auf eigenen Beinen steht.