Dossier: Kinderwunsch

Diagnose: unfruchtbar

Wenn die Erfüllung des Kinderwunschs auf sich warten lässt, hadern viele Paare mit ihrem Schicksal. Warum klappt es nicht? Ist einer von beiden unfruchtbar? Die Medizin bietet Behandlungsmöglichkeiten, die helfen können.

In der heutigen Zeit glauben wir, alles unter Kontrolle zu haben. Alles ist planbar, jedes Problem lösbar. Wenn sich der Kinderwunsch nicht erfüllt, sind wir in den Grundfesten unseres Denkens erschüttert. Die Kinderlosigkeit wird zur grossen seelischen Belastung. Hinzu kommt, dass Kinderlosigkeit für viele immer noch ein Tabuthema ist. Dabei hat mittlerweile jedes sechste Paar Probleme, auf natürlichem Weg schwanger zu werden.1 Kein Wunder hat sich seit 2002 die Zahl der behandelten Personen für medizinisch unterstützte Fortpflanzung beinahe verdoppelt.2 Mit ein Grund für diese Entwicklung: Paare entschliessen sich immer später, Kinder zu bekommen. Laut Bundesamt für Statistik waren vor fast 50 Jahren nur gerade 11,3 Prozent der schwangeren Frauen über 34 Jahre alt. 2008 sind es mehr als doppelt so viele, nämlich 28,8 Prozent.

Was sind die Ursachen von Unfruchtbarkeit?

Von Unfruchtbarkeit oder Sterilität spricht man, wenn ein Paar ein bis zwei Jahre regelmässig ungeschützten Geschlechtsverkehr hatte, ohne dass die Frau schwanger wurde. Die Ursachen sind vielfältig. Stress und psychische Probleme sind ein möglicher Grund, dass es nicht klappt. Paradoxerweise kann der Kinderwunsch selbst den Stress auslösen. Nimmt die Sehnsucht nach einem Kind immer mehr Raum ein, wird der Druck für ein Paar gross und die Sexualität verkommt zur Planungssache. Stress ist zwar kein Hinderungs-, aber ein möglicher Verzögerungsgrund. So zeigte eine Erhebung des Imperial und des King’s College London, dass sich der Kinderwunsch auch in scheinbar hoffnungslosen Fällen erfüllen kann: Von 403 Paaren, die sich in einer Kinderwunschklinik hatten behandeln lassen, bekam fast jedes vierte Paar innerhalb von sechs Jahren auf natürliche Weise ein Kind. Als sich der Druck gelegt hatte, klappte es plötzlich.

«Die Ursachen sind vielfältig. Stress und psychische Probleme sind ein möglicher Grund, dass es nicht klappt. Paradoxerweise kann der Kinderwunsch selbst den Stress auslösen.»

Neben psychischen Problemen können weitere «weiche» Faktoren wie Rauchen und Über- oder Untergewicht die Fruchtbarkeit beeinträchtigen. Das gilt sowohl für Frauen wie auch für Männer. Denn oft wird die Ursache für eine Unfruchtbarkeit bei den Frauen gesucht, doch in rund 40 Prozent der Fälle liegt der Grund für die Kinderlosigkeit beim Mann. Eine ungenügende Qualität der Samen, beispielsweise eine zu geringe Anzahl oder unzureichende Beweglichkeit der Spermien, ist eine häufige Diagnose. Organische Probleme bei Frauen sind beispielsweise fehlende, verschlossene oder beschädigte Eileiter, hormonell bedingte Eizellreifungsstörungen oder Endometriose. Letzteres ist eine Erkrankung, bei der sich die Gebärmutterschleimhaut auf andere Bereiche wie Eileiter, Eierstöcke, Becken oder Organe ausweitet.

Behandlungsmethoden: Was kann ich tun? Und was will ich?

Das Wunschkind muss nicht ein Wunsch bleiben: Dank des Fortschritts der Medizin können viele, wenn auch nicht alle, Fruchtbarkeitsprobleme gelöst werden. Wer nicht schwanger wird und darunter leidet, sollte auf jeden Fall eine Fachperson für Reproduktionsmedizin aufsuchen, beispielsweise in einer Kinderwunschklinik. Oft hilft bereits ein klärendes Gespräch. Ausserdem sollten sich sowohl der Mann wie auch die Frau von der Frauenärztin respektive dem Urologen untersuchen lassen. Im Zentrum stehen erste Basisabklärungen: Findet der Eisprung regelmässig statt? Ist der Eileiter durchgängig? Und ist der Samen des Partners zeugungsfähig? Dies versuchen die Ärzte herauszufinden, indem sie die Basaltemperaturkurve der Frau betrachten, ihren Hormonhaushalt analysieren sowie einen Ultraschall zur Follikeldarstellung durchführen. Stellt der Arzt fest, dass die Eileiter verschlossen oder verwachsen sind – eine häufige Ursache für einen unerfüllten Kinderwunsch – kann er diese mit einem mikrochirurgischen Eingriff durchgängig machen. Beim Mann gibt ein Spermiogramm, eine Untersuchung einer Spermaprobe, Aufschluss über seine Fruchtbarkeit. Ein Bluttest bei beiden Partnern schliesst Krankheiten aus, die eine Schwangerschaft verhindern.

Ist die Frau bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht schwanger, ist eine Hormontherapie ein häufiger erster Behandlungsschritt. Die Hormone sollen unregelmässige Zyklen regulieren. Fruchtet diese Behandlung nicht, gibt es die Möglichkeit einer Spermieninjektion: Das Sperma des Partners wird mittels einer Kanüle oder Spritze direkt in den Gebärmutterhals, die Gebärmutterhöhle oder in den Eileiter gebracht. Eine weitere Option ist die künstliche Befruchtung, also die Befruchtung der Eizelle im Reagenzglas. Bei schlechter Qualität der Spermien ist zudem eine Mikroinsemination möglich, das bedeutet, dass ein einzelnes Spermium in die Eizelle injiziert wird. Es ist eine Überlegung wert, ob man begleitend zu den Fruchtbarkeitstherapien auf die traditionelle chinesische Medizin (TCM) oder die Homöopathie zurückgreifen möchte. Die Alternativmedizin verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem physische wie psychische Faktoren miteinbezogen werden.

«Die Nullachtfünfzehn-Behandlung gibt es nicht.»

Wofür sich ein Paar entscheidet, hängt auch von seinen Bedürfnissen ab: Die Nullachtfünfzehn-Behandlung gibt es nicht. Daher ist es wichtig, sich über die Behandlungsmöglichkeiten zu informieren und sich von einer Fachperson beraten zu lassen. Auch die psychische Belastung, welche der unerfüllte Kinderwunsch mit sich bringen kann, sollte in die Entscheidung miteinbezogen werden. Psychotherapeuten unterstützen dabei, sich mit der Situation auseinanderzusetzen, Stress zu reduzieren und das Erlebte zu verarbeiten. Selbsthilfegruppen bieten Raum für Gespräche mit Leuten, die Ähnliches erleben. Und es ist gut zu wissen, dass es für vieles eine Lösung gibt.

Quellen:

1 European Policy Audit on Fertility (EPAF)

2 Bundesamt für Statistik: 2002 liessen sich 3467 Personen behandeln; 2015 waren es 6055 Personen.  

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