Warum Haustierbisse so gefährlich sein können
Tierbisse haben es in sich: Werden die daraus entstandenen Wunden nicht zeitnah ärztlich behandelt, können sie rasch zum Schauplatz ausufernder Keimpartys werden. Dr. med. Sabrina Jegerlehner, Notfallärztin am Berner Inselspital, erklärt, wie Bisse von Katze, Hund & Co. behandelt werden müssen.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Ohne ärztliche Versorgung würden sich rund 80 Prozent der Wunden aus Katzenbissen infizieren und im schlimmsten Fall in einer Blutvergiftung enden. Bei Hunden liegt das Infektionsrisiko ungleich tiefer.
Ein Grund dafür ist die unterschiedliche Zahnbeschaffenheit: Katzenzähne sind lang und spitz, was zu tiefen, stichartigen Wunden führt und die Keime und Bakterien aus dem Katzenspeichel tief ins Gewebe eindringen lässt.
Blutet die Wunde nur wenig, sind die Bakterien quasi gefangen, mitunter zusammen mit abgebrochenen Zahnsplittern. Das ist – bei ausbleibender Behandlung – die perfekte Ausgangslage sowohl für lokale als auch wandernde Infektionen. Denn: Oft beissen Katzen an Hand oder Handgelenk zu. Dort also, wo ihre Zähne rasch auf Knochen, Gelenke und Sehnen(-scheiden) stossen. Besonders Letztere können dabei zu Bakterienleitern werden und die Infektion in weitere Körperregionen tragen. Gleiches gilt für die Blut- und Lymphbahnen.
Hundezähne wiederum sind zwar weniger spitz, dafür beissen Hunde umso kräftiger. Hier liegt die Gefahr darum eher in der Verletzungsschwere. So oder so: Unabhängig von der Haustierart gilt es, eine Übertragung von Krankheitserregern zu unterbinden, den Tetanusschutz zu überprüfen und das Tollwutrisiko abzuschätzen. Sprich: In ärztliche Behandlung gehören alle Tierbisse, ganz gleich, welcher Ihrer Lieblinge zugebissen hat.
Nachgefragt bei der Expertin: Dr. med. Sabrina Jegerlehner ist Notfallärztin am
Berner Inselspital, wo seit Sommer 2021 insgesamt 125 Tierbisse behandelt worden
sind. 62 davon gingen auf Katzen zurück, 57 auf Hunde, 3 auf Schlangen sowie
je einer auf einen Fuchs, ein Frettchen und einen Affen.
Frau Jegerlehner, meine Katze hat mich gebissen: Welche Erste Hilfe kann ich zu Hause leisten?
Reinigen Sie die Wunde so schnell wie möglich, am besten unter fliessendem Leitungswasser. Danach desinfizieren Sie die Wunde und verbinden sie trocken, etwa mit einer Kompresse und einem Verband. Achten Sie zudem darauf, den betroffenen Körperteil möglichst wenig zu bewegen. Sie verhindern so ein übermässiges Anschwellen, was auch die Untersuchung der Wunde erleichtert. Wurden Sie an der Hand gebissen, können Sie sich zum Beispiel mit einem Foulard oder einem Dreieckstuch eine Armschlinge binden. Und: War es nicht Ihr eigenes Tier, holen Sie unbedingt Informationen über das Tier ein, insbesondere über dessen Herkunft und Impfstatus. Diese können für die weitere Behandlung relevant sein.
Gehe ich im Anschluss in die Hausarztpraxis oder auf den Notfall?
Es ist essenziell, dass die Bissverletzungen sofort medizinisch behandelt werden. Alleine schon deshalb, weil bei allen eine drei- bis fünftägige Antibiotikaprophylaxe angezeigt ist und Sie dafür ein Rezept benötigen. Zudem gilt bei Tierbissen: Je mehr Zeit vergeht, desto grösser ist die Infektionsgefahr. Melden sich die Patientinnen und Patienten zeitverzögert, ist die Sache oft schon viel komplizierter, als wenn sie gleich gekommen wären.
Aber zurück zu Ihrer eigentlichen Frage: Kleinere Bisswunden können in der Regel problemlos in der Hausarztpraxis versorgt werden. Sind hingegen tiefere Strukturen wie Muskeln oder Gelenke betroffen, oder ist das Gewebe stark zerfetzt, ist eine Versorgung im Notfall einfacher. Die plastische Chirurgie ist bei Bedarf gleich in der Nähe, dort gehören das Abtragen von totem Gewebe und das Legen von Drainagen zum Tagesgeschäft. Beides kann auch bei klein scheinenden Katzenbissen nötig sein, da diese aufgrund der Tiefe oft sehr tückisch sind.
Wie werden Tierbisse behandelt?
Um Fremdkörper wie etwa Zahnsplitter ausschliessen zu können, wird die Bissstelle in den meisten Fällen geröntgt. Im Anschluss wird sie unter lokaler Betäubung genau untersucht: Wie tief ist die Wunde? Gibt es Rückstände oder sonstige Verschmutzungen? Danach folgen Ausspülung und Desinfektion. Wurde beim Tierbiss Gewebe zerstört, wird dieses abgetragen, weil es sonst die Wundheilung beeinträchtigen würde.
Ist die Wunde sehr tief, beschleunigen wir das Abfliessen des Wundsekrets mit einer Drainage. So oder so werden Bisswunden so gut wie nie genäht. Sie müssen sich das wie eine Pfütze vorstellen: Wird sie zugedeckt, kann sie nicht trocknen, was in der Regel eine Sumpfbildung zur Folge hat. Damit eine Bisswunde gut und ohne Infektion abheilen kann, muss sie trockengelegt werden. Je nach Grösse der Wunde wird sie im Anschluss steril verbunden, bei grösseren Verletzungen empfehlen wir zudem eine Schiene oder Schlinge, um den betroffenen Körperteil ruhig zu stellen und so das Abschwellen zu begünstigen.
Wie sieht es mit dem Impfbedarf aus?
Ist Ihr Tetanus-Impfschutz ungenügend, erhalten Sie nach einem Tierbiss eine Auffrischimpfung. Abhängig von Ihrem Alter sowie der Tiefe und/oder Verschmutzung der Wunde, ist dieser Booster alle 5, 10 oder 20 Jahre angezeigt. Je nach Tierart benötigen Sie zudem eine Tollwutprophylaxe, insbesondere bei nicht-einheimischen und Ihnen unbekannten Hunden oder Wildtieren wie Füchsen oder Fledermäusen. Je nach Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Übertragung unterstützen wir die aktive Impf-Immunisierung durch die Abgabe von Antikörpern zusätzlich passiv.
Was gilt es nach der Rückkehr in die eigenen vier Wände zu beachten?
Denken Sie für die verschriebene Dauer an die tägliche Einnahme der Antibiotika und halten Sie zudem Schmerzmittel bereit, damit Sie bei Bedarf auf diese zurückgreifen können. Wurden Sie an Arm, Hand oder Bein gebissen, helfen in der ersten Zeit Hochlagern und Ruhigstellen, damit die Schwellung zurückgehen kann.
Den Verband sollten Sie täglich wechseln und die Wunde dabei auf Infektionszeichen wie Rötung, Schwellung und Eiter untersuchen. Um allfällige Heilungskomplikationen früh zu erkennen, empfehlen wir in der Regel nach 48 Stunden eine ärztliche Wundkontrolle. Da kann auch gleich das weitere Vorgehen besprochen werden. Grundsätzlich kann man festhalten: Haben Sie den Tierbiss bei der Hausärztin oder im Spital untersuchen und behandeln lassen, ist das Infektionsrisiko im weiteren Verlauf sehr gering.
Wie verhält es sich mit Bissen von anderen Haustieren, etwa Meerschweinchen und Hamstern oder Kaninchen und Ratten?
Egal, ob Meerschweinchen, Hamster, Kaninchen, Ratte, Katze oder Hund: Jeder Tierbiss muss ärztlich behandelt werden. Und zwar so schnell wie möglich, damit die frische Wunde angeschaut und beurteilt werden kann. Das oben Gesagte lässt sich also auf jedes Haustier anwenden.
Zur Person
Dr. med. Sabrina Jegerlehner ist Vollblut-Notfallmedizinerin mit Facharzttitel Innere Medizin. Sie arbeitet als Oberärztin im Notfall des Berner Inselspitals, wo sie einerseits den COVIDtrack leitet und andererseits die Co-Leitung des Fast Track verantwortet. Dabei handelt es sich um eine Art Notfallpraxis – mit Bissverletzungen ist sie darum bestens vertraut.
Auch in ihrem Forschungsgebiet verschreibt sie sich der Soforthilfe: Point-of-Care-Medizin nimmt sich der patientennahen Sofortdiagnostik an, verlagert also das Labor nach Möglichkeit direkt ans Spitalbett.