Zwillingsforschung: Kopie oder Unikat?

Bestimmen die Gene, unsere Lebensführung oder die Umwelt, wer wir sind, wie wir aussehen und ob wir lange leben? Fünf Erkenntnisse aus der Zwillingsforschung.

Text: Julie Freudiger; Foto: José León/Unsplash

Zwillinge dienen Wissenschaftlern seit Jahrzehnten als ideale Forschungsobjekte, um herauszufinden, wie Gene und äussere Faktoren unser Leben beeinflussen. Denn eineiige Zwillinge sind genetisch identisch, da sie aus einer Eizelle entstanden sind. Und doch sind sie nicht einfach nur Kopien voneinander. Warum das so ist, beschäftigt die Wissenschaft. Zwillings­studien vergleichen zudem ein- mit zweieiigen Zwillingspaaren. Letztere ­teilen nur die Hälfte der Gene, wachsen aber meist unter denselben Bedingungen auf. Aus diesem Vergleich schliessen Wissenschaftler, welche Merkmale erblich sind. Und gewinnen dadurch Erkenntnisse auch für die Menschen, die nicht im Doppelpack zur Welt kommen.

1. Intelligenz wird vererbt, aber ohne Giessen wächst nichts

«Intelligenz und Talent sind zu rund 80 Prozent vererbt», sagt Anita Rauch, Professorin für medizinische Genetik am Universitätsspital Zürich. Ob aber das genetische Potenzial ausgeschöpft werde, hänge von äusseren Faktoren ab. 

2. Für seine Gesundheit kann man etwas tun

Migräne, Bluthochdruck, Diabetes, Akne oder Rheuma: Viele Krankheiten sind genetisch bedingt. Aber: «Äussere Faktoren wie Bewegung oder Stress beeinflussen die ­Veranlagung», so Rauch. Aktuelle Studien mit eineiigen Zwillingen zeigen sogar, dass auch bei Brustkrebs oder Multipler Sklerose Umweltfaktoren den Krankheitsverlauf beeinflussen. 

3. Langlebigkeit ist nicht angeboren

Eine Zwillingsstudie aus Grossbritannien kommt zum Schluss, dass Langlebigkeit einen geringen Grad an Ver­erb­barkeit hat. Die in der Studie beobachteten Zwillinge starben in sehr unterschiedlichem Alter und an verschiedenen Krankheiten. «Ausserdem teilt sich der Zellhaufen, aus dem die eineiigen Zwillinge entstehen, nicht immer in zwei gleiche Hälften», erläutert Rauch. Daher kann es sein, dass nur einer der beiden an einer Erbkrankheit leidet. 

4. Die Umwelt verändert die Gene 

Studien mit eineiigen Zwillingen haben gezeigt, dass Umwelteinflüsse Gene ein- oder ausschalten können. Denn je länger die Zwillinge voneinander getrennt lebten, desto stärker unterschied sich das Genmaterial. Dieses ist also nicht in Stein gemeisselt. Umgekehrt beeinflussen aber auch die Gene die Umwelt: Ist man etwa risikofreudig veranlagt, sucht man sich entsprechende Freunde. Diese verstärken die Ausgangslage der Gene zusätzlich. 

5. Das Persönlichkeitsgen gibt es nicht

Unsere Grundeigenschaften bestimmen zwar die Gene. Doch trotz genetisch identischem Bauplan und gleicher Umwelt sind eineiige Zwillinge zwei verschiedene Persönlichkeiten. Studien zeigen, dass alle Menschen dieselbe Umwelt anders erleben und so durch sie ­verschieden geprägt werden – auch eineiige Zwillinge. Auf der anderen Seite zeigen Zwillingsstudien, dass Persönlichkeitsmerkmale wie Risikofreudigkeit oder Geselligkeit vererbbar sind – je nach Studie zwischen 30 und 50 Prozent. Nur: Die «Persönlichkeitsgene» konnten noch nicht identifiziert werden. 

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