Dossier: Ernährung

Low Carb – wie wichtig sind Kohlenhydrate?

Kohlenhydrate sind als Dickmacher verschrien und definitiv out. Doch wie sinnvoll sind Low-Carb-Diäten eigentlich? Die Ernährungsberaterin Wilma Schmid gibt Auskunft.

Text: Robert Wildi; Foto: Jennifer Schmidt / Unsplash

Schön sein heisst schlank sein. Was heute fast religiöse Züge annimmt, hat seine Ursprünge weit in der Vergangenheit. Als ärgster Feind unseres Idealgewichts wurden schon im 19. Jahrhundert vom britischen Buchautor William Banting die Kohlenhydrate identifiziert. Mit einer stark fleischbetonten Kur hatte er nach eigenen Angaben innert eines Jahres 23 Kilo abgespeckt und somit die Wirksamkeit der ersten bekannten Low-Carb-Diät unter Beweis gestellt.

Ist die inzwischen zum globalen Megatrend gewordene Low-Carb-Ernährung also über jeden Zweifel erhaben? Das müsse man differenziert betrachten, sagt Wilma Schmid, diplomierte Ernährungsberaterin BSc aus Luzern. Sie hat an diversen ernährungswissenschaftlichen Forschungsreihen mitgewirkt und betreut heute in ihrer Praxis neben Patienten auch Spitzensportler in Ernährungsfragen. Es gebe aus gesundheitlicher Sicht durchaus Situationen, in denen eine Korrektur der Kohlenhydratzufuhr Sinn mache. «Studien belegen entsprechende Erfolge im Gewichtsmanagement und in Bezug auf die Risikofaktoren fürs Herz-Kreislauf-System.»

Zuerst auf künstlichen Zucker und Alkohol verzichten

Gleichwohl hätten Low-Carb-Diäten in der Regel nur einen kurzfristigen Erfolg, so Schmid. Denn es sei für die meisten Leute zu anstrengend, langfristig auf gewisse Lebensmittel zu verzichten. Für die Ernährungsberaterin kann eine Low-Carb-Diät daher allenfalls eine «Kick-off-Strategie» sein, um Ernährungsgewohnheiten nachhaltig zu verändern. «Wer Low Carb wirklich ernst nimmt, sollte zunächst den Konsum von Süssigkeiten, Süssgetränken und Alkohol reduzieren. Darauf kann man rein physiologisch gesehen sogar ganz verzichten.»  

Kartoffeln, Reis & Pasta einschränken

In einem zweiten Schritt könne man Stärkebeilagen wie Kartoffeln, Reis, Pasta oder Brot zu den Hauptmahlzeiten einschränken. «Reduzieren, nicht weglassen!», betont Schmid. Wer auf die genannten Lebensmittel ganz verzichte, mindere auch die Zufuhr anderer wichtiger Nährstoffe. Eine sinnvolle Alternative sei daher, bei Reis, Pasta oder Backwaren auf die Vollkornvariante auszuweichen. «Damit reduziert man raffinierte Kohlenhydrate, sichert dem Körper aber gleichwohl viele wichtige Nährstoffe.»

Je mehr Bewegung, desto mehr Kohlenhydrate

Von Low-Carb-Diäten Abstand nehmen sollten laut Wilma Schmid aktive Sportler. «Kohlenhydrate sind der wichtigste Energielieferant und können in Form von Glykogen in der Leber und Muskulatur gespeichert werden.» In den allgemeinen Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) werden 45 bis 55 Prozent der täglichen Energiezufuhr in Form von Kohlenhydraten empfohlen. Bei einem Verzehr von 2200 Kilokalorien entspricht dies rund 275 Gramm Kohlenhydraten. Zum Vergleich: Eine Low-Carb-Diät enthält meist zwischen 50 und 150 Gramm Kohlenhydrate pro Tag.

«Sinn und Unsinn einer Low-Carb-Ernährung hängen also entscheidend von der individuellen Lebensweise ab», fasst Wilma Schmid zusammen. Je weniger man sich bewege, desto weniger Kohlenhydrate verbrenne man – und umso weniger Kohlenhydrate müsse man entsprechend zu sich nehmen. Und was sagt Wilma Schmid zur verbreiteten Meinung, dass man bei abendlichem Verzicht auf Kohlenhydrate besser schlafe? «Das habe ich von Klienten auch schon gehört. Wissenschaftlich bewiesen ist das meines Wissens bislang aber nicht, und es gibt auch keine biochemische oder physiologische Erklärung.»
 

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