Impostor-Syndrom: Bin ich ein Hochstapler?
Nur dank Glück und Zufall zum Erfolg gekommen zu sein: Davon sind Personen mit einem Impostor-Selbstkonzept überzeugt. Die Angst, als Betrüger:in entlarvt zu werden, begleitet sie ständig – manchmal mit weitreichenden Folgen. Wie man das Phänomen erkennt und was man dagegen tun kann.
Ein Erfolg reiht sich an den nächsten, Vorgesetzte und Team sind voll des Lobes, das Feedback der Kundschaft ist gut, es geht auf der Karriereleiter nach oben. Und doch ist da das sichere Gefühl: «Ich kann das eigentlich gar nicht. Bald fliege ich auf und alle werden merken, dass ich nur geblufft habe. Ich werde total überschätzt, hatte bloss Glück und ein gutes Timing.»
Gelegentliche Selbstzweifel kennen fast alle Menschen. Besteht allerdings eine deutliche Diskrepanz zwischen dem objektiven Erfolg und der eigenen Wahrnehmung der Kompetenz, sprechen Fachpersonen vom sogenannten Impostor-Selbstkonzept. Der häufig verwendete Begriff «Hochstapler- oder Impostor-Syndrom» ist irreführend. «Es handelt sich dabei nämlich nicht um eine Krankheit, sondern vielmehr um ein Persönlichkeitsmerkmal», sagt Sonja Rohrmann, Professorin für Differentielle Psychologie und psychologische Diagnostik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Autorin eines Buches zu diesem Thema.
Der Begriff des Impostor-Phänomens wurde bereits in den 1970er-Jahren von den Psychologinnen Pauline Rose Clance und Suzanne Imes geprägt. Die massiven Selbstzweifel kommen häufig vor: «Man geht davon aus, dass rund die Hälfte aller erfolgreichen Personen betroffen sind», sagt Rohrmann – Frauen und Männer gleichermassen, vor allem aber Menschen, die objektiv keinen Grund dazu hätten. Das Problem ist: Selbst bei Erfolgen schweigen die zweifelnden Gedanken nicht.
Die Strategien Betroffener
Häufig entwickeln Betroffene zwei Strategien: Sie verfallen entweder in einen ausufernden Perfektionismus und verschreiben sich voll und ganz ihrer Arbeit. Mit übertriebenem Einsatz versuchen sie, mögliche Misserfolge zu vermeiden. Oder sie beginnen, Aufgaben aufzuschieben und erst im letzten Moment zu erledigen – um dann Zeitmangel für einen möglichen Misserfolg verantwortlich machen zu können. Am Ende münden beide Strategien im selben Schluss: «Diesmal habe ich es gerade noch einmal geschafft, beim nächsten Mal fliege ich aber bestimmt auf.»
Es wächst auch nicht die Zuversicht, dass es beim nächsten Mal wieder klappen wird und der Erfolg eben doch etwas mit dem eigenen Talent zu tun haben könnte. Der Teufelskreis wiederholt sich ständig. Und wer sich so sehr in die Arbeit verbeisst, riskiert Überlastung sowie Schlafdefizite und vernachlässigt nicht selten die Beziehung, Familie und Freund:innen.
Auslöser des Impostor-Selbstkonzepts
Als Auslöser für das Impostor-Phänomen gelten verschiedene Ursachen, bestimmte Persönlichkeitsstrukturen etwa. Jemand mit einem geringen Selbstwertgefühl oder ausgeprägtem Perfektionismus läuft eher Gefahr, sich als Betrüger oder Betrügerin zu fühlen.
Andererseits spielen familiäre Dynamiken und Erziehungsstile eine entscheidende Rolle: Werden gute Leistungen besonders gelobt, kann dies dazu führen, dass ein Kind das Gefühl hat, nur wegen seines Erfolges und nicht um seiner selbst willen geliebt zu werden. Oder es wird einem Geschwister die Rolle des «intelligenten Kindes» zugeschrieben, während die später Impostor-betroffene Person als das hübsche, einfühlsame oder soziale Kind gilt.
«Personen mit Impostor-Selbstkonzept nehmen ihre Fähigkeiten oft auch als atypisch im Vergleich zu jenen ihrer Familienmitglieder wahr», erklärt Sonja Rohrmann. «Wenn zum Beispiel niemand in der Familie studiert hat, die Person aber eine akademische Laufbahn einschlägt, können Zweifel an der eigenen Kompetenz entstehen.»
Bestimmen also Gedanken wie: «Ich bin zu Unrecht zum Erfolg gekommen, bei der nächsten Aufgabe werde ich versagen, alle anderen sind viel kompetenter und dem Lob kann ich nicht glauben», den Alltag, kann es sein, dass man am Impostor-Persönlichkeitskonzept leidet.
Wege aus dem Impostor-Syndrom
Und dann? «Die effektivste Therapie ist, das Problem zu erkennen», sagt Sonja Rohrmann. «Für viele Betroffene reicht es dann völlig aus, Selbsthilfemassnahmen umzusetzen.»
So kann es helfen, Erfolge und Fortschritte schriftlich festzuhalten. Dadurch bleiben sie in Erinnerung und lassen sich leichter realistisch bewerten. Ausserdem sollte man Herausforderungen trotz Ängsten annehmen und mit Freund:innen, Familie, aber auch Arbeitskolleg:innen und Vorgesetzten darüber reden und so ein realistisches Selbstbild aufbauen. Und noch eine gute Nachricht: Oft schwächt sich das Impostor-Phänomen mit zunehmendem Alter und anhaltenden Erfolgen tendenziell ab.
Wer jedoch im Alltag stark beeinträchtig ist und enorm unter Versagensängsten und Minderwertigkeitsgefühlen leidet, die sich zu einer Depression oder einem Burn-out entwickeln könnten, sollte eine Psychotherapie ins Auge fassen. Diese hat zum Ziel, ein verinnerlichtes Selbstwertgefühl aufzubauen, das unabhängig von den Bewertungen anderer funktioniert und dem objektiven Erfolg angemessen ist.