Dossier: Stress und Entspannung

Burn-out erkennen und vorbeugen

Nichts beschreibt den Zustand totaler Erschöpfung besser als der Begriff «Burn-out». Körper und Psyche ziehen die Notbremse. Wer zu spät reagiert, riskiert, in eine Depression zu schlittern. Welches sind die ersten Anzeichen und welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Text: Helwi Braunmiller, Julie Freudiger: Foto: iStock

Totale Erschöpfung – körperlich, emotional, geistig. Wer ein Burn-out hat, fühlt sich leer, energielos und eben: ausgebrannt. Treffen kann es jede:n. Manche Studien gehen von 7 Erwerbstätigen unter 100 Menschen aus. Andere Zahlen liegen deutlich darüber oder darunter. Das Problem: Zwar existiert der Begriff «Burn-out» seit den 1970er-Jahren, doch erst im Mai 2019 hat Burn-out Einzug in den ICD-Katalog gehalten, das internationale Klassifikationssystem aller Krankheiten. Definiert wird Burn-out als «Syndrom, das aus chronischem Stress am Arbeitsplatz entsteht, der nicht erfolgreich verarbeitet wurde» (ICD-11) . 

In anderen Worten: Burn-out ist eine sich langsam entwickelnde Stressbelastungsstörung, die ein grosses Risiko für schwere körperliche, emotionale und psychische Erschöpfung darstellt. Und die in eine Depression münden kann. Ausserdem gibt es einen Zusammenhang zwischen einem Burn-out und verschiedenen körperlichen Symptomen, beispielsweise erhöhtem Blutdruck oder Lungenkrankheiten. Das zeigt eine Studie des Universitätsspitals Zürich . Erste Anzeichen eines Burn-outs sollte man daher auf keinen Fall ignorieren, sondern frühzeitig Gegensteuer geben. Je schneller das Risiko für ein Burn-out erkannt wird, desto eher lässt sich die Negativspirale stoppen.

Ursachen: Was ein Burn-out auslöst

Auslöser eines Burn-outs ist zwar eine hohe Belastung bei der Arbeit, wozu auch unbezahlte Tätigkeiten wie Betreuung von Angehörigen oder Familienarbeit gehören. Doch die Menge der Wochenarbeitsstunden ist nicht alleine massgeblich. Ins Gewicht fallen auch ein schlechtes Betriebsklima, Mobbing, übermässiger Stress oder Angst, den Job zu verlieren, sowie private Belastungen. Vor allem aber spielen die individuellen Voraussetzungen eine Rolle. Oft stossen sehr idealistische, engagierte Menschen, die ihrem Alltag mit Perfektionismus, Ehrgeiz und grossem Verantwortungsbewusstsein begegnen, an ihre Grenzen.

Arbeitsbezogene Risiken

  • Äusserer Leistungsdruck/hohe Arbeitsbelastung
  • Zeitdruck
  • Monotone Tätigkeit/geringe Selbstbestimmung
  • Keine Anerkennung, fehlende Wertschätzung und Unterstützung
  • Zwischenmenschliche Konflikte am Arbeitsplatz
  • Mehrfachbelastung Familie und Beruf

Persönlichkeitsbezogene Risiken

  • Hohe Ansprüche an sich selbst und hohe Leistungsbereitschaft
  • Hang zum Perfektionismus
  • Es anderen immer recht machen wollen/nicht Nein sagen können
  • Wenige oder keine ausgleichenden Tätigkeiten, fehlende Erholung 

Symptome: Wie äussert sich ein Burn-out?

Ein Burn-out entwickelt sich nicht von heute auf morgen. Am Anfang steht der begeisterte Idealist, der für ein Projekt, die Arbeit, die Familienbetreuung brennt – und sich die konstante Überforderung partout nicht eingestehen will. Es herrscht eine «Ich schaffe das schon»-Mentalität, die Überanstrengung wird zum Normalzustand. Oft ist auch die Freizeit von Leistungsdenken geprägt, Entspannung und Erholung kommen zu kurz. Erste Anzeichen der Erschöpfung und Überforderung werden ignoriert oder das Arbeitspensum wird gar noch erhöht, um des Stresses Herr zu werden. Die Quittung sind körperliche Symptome wie Schlaf- und Verdauungsstörungen, Kopfschmerzen, Muskelverspannungen und Rückenschmerzen. Aber auch Distanz zum sozialen Umfeld und Resignation in der Arbeit sind Warnzeichen. Betroffene beachten diese meist nicht, bis sich ein Zustand der totalen Erschöpfung – physisch, psychisch und emotional – bis hin zur schweren Depression einstellt.

Die zahlreichen Symptome – je nach Quelle weit über 100 – lassen sich nur schwer objektiv fassen. Ein klares Krankheitsbild existiert daher nicht. Symptome sind beispielsweise:

  • Zunehmende Antriebslosigkeit beruflich sowie privat, abnehmendes Interesse an allem
  • Sinkende geistige Leistungsfähigkeit, Konzentrationsprobleme
  • Zynismus und Distanzierung von der Arbeit
  • Gesteigerte Reizbarkeit
  • Probleme, in der Freizeit abzuschalten
  • Schlafschwierigkeiten, dauernde Müdigkeit
  • Appetitlosigkeit
  • Kopf- und Rückenschmerzen
  • Schwindel und Herzklopfen
  • Nervosität und Angst, innere Leere
  • Magen- und Darmprobleme
  • Anfälligkeit für Infekte
  • Tinnitus
  • Erschöpfungsdepression

Phasen: Möglicher Verlauf eines Burn-outs

Ein Burn-out verläuft in Phasen. Nur: Eindeutig kategorisieren lassen sich diese nicht, denn jede betroffene Person erlebt das Ausbrennen anders. Einzelne Phasen können übersprungen oder in anderer Reihenfolge durchlaufen werden. Je nach Quelle wird von einem 3-, 5-, 7- oder 12-Phasen-Modell gesprochen, wobei sich die meisten nicht grundlegend widersprechen. Auch wenn die Phasenmodelle nicht wissenschaftlich belegt sind, geben sie dennoch wichtige Hinweise, wie ein Burn-out verlaufen kann. Nicht zuletzt regen sie zur Selbstreflexion an. Ein oft zitiertes Modell geht auf den Pionier der Burn-out-Forschung Herbert Freudenberg zurück. Zusammen mit Gail North hat er 1992 das 12-Phasen-Modell entwickelt:

1. Zwang, sich beweisen zu müssen

Grosses Engagement, Euphorie, hohe, die eigenen Grenzen sprengende Ansprüche an sich selbst.

2. Verstärkter Einsatz

Perfektionismus nimmt Überhand, Betroffene wollen alles alleine und möglichst schnell erledigen.

3. Vernachlässigen der eigenen Bedürfnisse

Die Arbeit geht vor, die eigenen Bedürfnisse treten in den Hintergrund.

4. Verdrängung von Konflikten und Bedürfnissen

Erste Fehler passieren, diese werden genauso ignoriert wie erste körperliche Beschwerden. Es kann zu Konflikten etwa in der Partnerschaft kommen. 

5. Umdeutung von Werten

Die Arbeit steht an erster Stelle, soziale Kontakte und frühere Prioritäten werden als Belastung empfunden.

6. Verleugnung der Probleme

Betroffene werden zynisch und reagieren zunehmend aggressiv. Die Überlastung wird konsequent verleugnet.

7. Rückzug

Betroffene ziehen sich zurück, verlieren die Hoffnung. Sie bemerken ihren Leistungsabfall, einige suchen Trost oder Ablenkung in Suchtmitteln.

8. Verhaltensänderung

Deutliche Veränderungen im Verhalten. Besorgte Freunde werden beschwichtigt und Kritik zurückgewiesen.

9. Depersonalisation

Betroffene fühlen sich losgelöst von ihrem Körper, Geist und ihren Gefühlen. Das eigene Leben wird nicht mehr wertgeschätzt.

10. Innere Leere

Betroffene fühlen sich nutzlos, leer und erschöpft. Es kann zu Panikattacken kommen.

11. Depression

Völlige Antriebs- und Lustlosigkeit, Betroffene fühlen sich ausgelaugt und verzweifelt.

12. Völlige Erschöpfung

Nebst dem psychischen Zusammenbruch sind auch körperliche Erkrankungen möglich. Es kann zu Suizidgedanken kommen.

Anmerkung: Burn-out ist keine eigenständige Krankheit, sondern ein Risikozustand für psychische und körperliche Erkrankungen wie Depression. In der Fachwelt wird daher diskutiert, ob «Depression» nicht die letzte Stufe des Modells sein müsste oder ganz weggelassen werden sollte.

Behandlung so individuell wie das Burn-out selbst

Die Behandlung eines Burn-outs richtet sich nach den Ursachen und vor allem nach der betroffenen Person. Bei sehr schweren Fällen ist ein stationärer Aufenthalt in einer Klinik notwendig, etwa wenn jemand suizidgefährdet ist. Ansonsten ist eine ambulante Therapie in der Regel ausreichend. In solchen Fällen sind der Hausarzt oder eine Psychologin gute erste Anlaufstellen.

Zusätzlich zur psychologischen Behandlung gilt es, die Balance wiederherzustellen und die Energiespeicher aufzufüllen. Auch da gibt es kein 08/15-Rezept: Was der einen Person guttut, findet die andere langweilig. Grundsätzlich bewährt haben sich Entspannungsmethoden, Körpertherapien, Sport und Achtsamkeitsübungen. Besonders wichtig sind das Erlernen von langfristigen Strategien, um mit Stress umzugehen, die Fähigkeit, Nein zu sagen, und das Ablegen des Perfektionismus. Je nach Schweregrad des Burn-outs ist es zudem sinnvoll oder gar unabdingbar, Abstand vom Arbeitsplatz zu gewinnen. 

Spätfolgen: Ein Burn-out glüht nach

Ein oberflächlicher Kratzer auf einer Tischplatte lässt sich viel schneller ausbessern als eine tiefe Kerbe. Dasselbe gilt für die Psyche: Je länger man nichts gegen die Erschöpfung unternimmt, desto tiefer rutscht man ab und desto länger dauert die Heilung. Ein Mensch unter Dauerbelastung schafft es nicht mehr, sich zu entspannen. Dies muss erst wieder erlernt werden.

Tatsächlich berichten viele Burn-out-Betroffene über Langzeitfolgen. Das hat auch eine Studie an der Universität Göteborg  gezeigt, in deren Rahmen Personen mit stressbedingter Erschöpfung untersucht wurden.

Das Resultat: Nur 16 Prozent der Proband:innen betrachteten sich sieben Jahre nach der ersten Behandlung als komplett genesen. 4 Prozent gaben an, ihr gesundheitlicher Zustand sei unverändert oder gar schlechter. 80 Prozent fühlten sich zwar viel besser oder besser, doch einige Symptome blieben auch bei ihnen bestehen: Fast die Hälfte der Proband:innen litten an extremer Müdigkeit, 73 Prozent gaben an, eine geringe Stresstoleranz zu haben, und 43 Prozent berichteten über Gedächtnisschwierigkeiten.

Prävention: Burn-out vorbeugen

Stress komplett zu umgehen ist in den meisten Fällen nicht möglich. Und auch nicht nötig. Denn in einem gesunden Mass ist er nicht schädlich – solange Erholungsphasen folgen und sich keine konstante Überforderung einstellt. Bei beruflichem Stress kann ein gutes Gespräch mit dem Vorgesetzten eventuell die Lage entschärfen, aber auch der eigene Umgang mit Belastungen gehört dazu: Psychische Gesundheit ist keine Selbstverständlichkeit, man muss sie wie die körperliche Gesundheit pflegen.

Was Sie zur Vorbeugung selbst tun können

  • Eigene Bedürfnisse erkennen und Rücksicht auf diese nehmen: Wie viel Schlaf brauche ich? Esse ich ausgewogen und regelmässig? Wo liegen meine Grenzen? Welche Aufträge schaffe ich realistischerweise? Was tut mir gut?
  • Stressauslöser erkennen: In welchen Situationen fühle ich mich überfordert?
  • Verhaltensmuster analysieren und aufbrechen: Welches sind die Gründe für meinen Stress? Sind die Ansprüche an mich selbst zu hoch? Wo kann ich anders reagieren und so die Weichen sinnvoll stellen?
  • Gewohnheiten ändern: den Laptop im Büro lassen, keine Geschäftsmails in der Freizeit checken, Perfektionismus ablegen, Bewegung einplanen, in Ruhe essen, auch mal Nein sagen.
  • Unterstützung bei Vorgesetzten, Kolleg:innen, Familie und Freund:innen suchen.
  • Sich Pausen gönnen und auf Ausgleich achten, Freundschaften pflegen und sich ausreichend bewegen.

Tipps, Expert:innen und Anlaufstellen

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