Demenz: ein Leitfaden für Angehörige
Eine Demenzerkrankung hat nicht nur für Patientinnen und Patienten einschneidende Folgen. Auch für Angehörige stellt die Diagnose eine riesige Herausforderung dar. Entsprechend wichtig ist es, die eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen.
Vielfach wirkt es wie eine Aneinanderreihung merkwürdiger Zufälle. Plötzlich fragt die Partnerin dreimal an einem Tag nach dem Coiffeurtermin, verlegt immer wieder ihre Schlüssel, vergisst Wörter oder kann sich im vertrauten Quartier nicht mehr orientieren. Doch auch ungewohnte Ängstlichkeit, grosses Misstrauen oder Wutausbrüche können Warnsignale für eine beginnende Demenz sein. In der Schweiz leben über 145'000 Menschen mit Alzheimer oder einer anderen Form von Demenz – jährlich kommen 30'000 neue Fälle dazu. Das ist nicht nur für Betroffene eine grosse Herausforderung, sondern auch für deren Angehörige.
Agnès Henry, Fachberaterin Demenz beim nationalen Alzheimer-Telefon der gemeinnützigen Organisation Alzheimer Schweiz, rät deshalb zu Offenheit und Transparenz: «Wer im Alltag solche Veränderungen im Verhalten eines geliebten Menschen feststellt, ist vielfach verunsichert. Es empfiehlt sich, das Tabu zu durchbrechen, indem man seine Beobachtungen offen und wertfrei schildert und sagt, wie man sich dabei fühlt.»
Auch der Austausch mit anderen nahestehenden Personen oder dem Hausarzt kann sinnvoll sein, um die eigenen Beobachtungen einzuordnen und ein Gefühl dafür zu entwickeln, ob es sich tatsächlich nur um Zufälle oder um eine beginnende Demenz handelt. Vermeiden sollte man hingegen genervte und anklagende Worte, so Henry. «Betroffene Menschen spüren, dass sich etwas verändert. Umso wichtiger ist es, dass das Vertrauensverhältnis zu ihren Angehörigen erhalten bleibt», erklärt sie weiter.
Andere Krankheiten ausschliessen
Verständnis und Empathie sind im Übrigen auch eine gute Grundlage, um einen Besuch bei der Hausärztin zu thematisieren. Die Hausärztin erhebt die Vorgeschichte, macht eine ausführliche körperliche Untersuchung und veranlasst Laboranalysen von Blut und Urin. Zudem ordnet sie je nach individueller Situation Zusatzuntersuchungen wie etwa ein Elektrokardiogramm an. Für ein erstes Bild des kognitiven Zustandes führt sie einen demenzspezifischen Kurztest durch. Die bekanntesten Tests sind die Mini-Mental-Status-Untersuchung und der Uhrentest.
Bei einer solchen Abklärung geht es nicht nur darum, eine mögliche Demenz festzustellen. Gedächtnisprobleme und Verhaltensstörungen können auch durch eine Vielzahl anderer Erkrankungen ausgelöst werden. Entsprechend wichtig ist es, allfällige andere Kranheiten in einem ersten Schritt ausschliessen zu können.
Leben mit Demenz
Steht die Diagnose Demenz einmal fest, beginnt sowohl für den betroffenen Menschen wie auch für die direkten Angehörigen ein neuer Lebensabschnitt. Einer, der von viel Unsicherheit und stetiger Veränderung geprägt ist. Dabei ist es wichtig, dass die Erkrankten nicht überbehütet – und beschützt werden. «Demenzkranke sollten weiterhin möglichst viel selbst machen. Wobei eine Risikoabwägung durch eine Drittperson natürlich sehr wichtig ist», erklärt Henry weiter.
Ebenfalls entscheidend: Stress vermeiden. Dieser kann bei Demenzerkrankten sehr viel schneller ausgelöst werden als bei gesunden Menschen. «Klare Anleitungen, kurze und einfache Sätze sowie gleichbleibende Rituale helfen Betroffenen dabei, sich zu orientieren und sicher zu fühlen», weiss Fachexpertin Henry.
Demenz löst Trauerprozess aus
Die Herausforderung bei der Betreuung und Pflege eines nahestehenden Angehörigen mit Demenz ist, sich dabei nicht selbst zu vergessen. «Diese Erkrankung verlangt Nahestehenden emotional und körperlich viel ab. Entsprechend wichtig ist es, sich Hilfe zu holen. Sie müssen das nicht allein bewältigen», appelliert Henry. So kann es bereits helfen, andere Familienmitglieder oder Freunde darum zu bitten, einige Stunden mit dem Demenzkranken zu verbringen, um so für sich selbst ein freies Zeitfenster zu schaffen.
Da Demenz die Persönlichkeit verändern kann, sehen sich Angehörige häufig mit einem Abschied auf Raten konfrontiert. Angehörigengruppen können wertvolle Unterstützung im Trauer- und Verarbeitungsprozess bieten. «Je mehr man über die eigenen Erfahrungen spricht und sich mit anderen betroffenen Angehörigen austauscht, desto besser lässt sich die Situation verarbeiten», sagt Henry.
Auch psychologische Unterstützungsangebote können eine sinnvolle Ergänzung sein. Egal welchen Weg Angehörige wählen, wichtig ist die eigene Pflege. «Nur, wenn man sich selbst Sorge trägt und Auszeiten gönnt, kann man dem demenzkranken Menschen langfristig jene Betreuung, Toleranz und Geduld entgegenbringen, die er in dieser schwierigen Situation benötigt», weiss die Fachexpertin.
Holen Sie sich Unterstützung
- Informieren Sie sich über Demenzerkrankungen, den Krankheitsverlauf und Unterstützungs- und Entlastungsmöglichkeiten, um vorausschauend den neuen Alltag gestalten zu können. Informationen finden sich unter anderem in verschiedenen Broschüren und Infoblättern von Alzheimer Schweiz.
- Lassen Sie sich beraten. Zum Beispiel durch eine Fachperson des nationalen Alzheimer-Telefons (Tel. 058 058 80 00, info@alz.ch).
- Holen Sie sich Unterstützung. Sich austauschen mit anderen Betroffenen, Ferien für Menschen mit Demenz, Entlastungsdienste und weitere Unterstützungsangebote für Demenzerkrankte sind wichtig, damit Angehörige gesund bleiben und weiterhin betreuen können.