Desensibilisierung: Hilfe bei Heuschnupfen
Der kleine Pieks gegen das grosse Niesen: Wer an einer Allergie leidet, kann seinen Körper an Pollen gewöhnen – mit der sogenannten Desensibilisierung.
Ein Picknick auf der blühenden Wiese, Pollen schwirren durch die Luft, es riecht nach Heu und Stroh. Klingt gut? Wen es allein beim Gedanken daran in der Nase kribbelt und in den Augen brennt, der leidet mit grosser Wahrscheinlichkeit an Heuschnupfen. Das kennen viele: Rund 30 Prozent der Menschen hierzulande sind von der Pollenallergie betroffen – die damit Spitzenreiterin unter den Allergien in unseren Breitengraden ist.
Heuschnupfen ist ein verblüffendes Phänomen: Eigentlich harmlose Blütenpollen und Gräser, die uns jedes Jahr ganz natürlich umgeben, werden vom Körper als gefährlich eingestuft und wie Krankheitserreger bekämpft. Das Immunsystem reagiert – fälschlicherweise – zu heftig. Die Folgen sind vor allem eines: mühsam. Schnupfen, Juckreiz, gerötete und tränende Augen, Atembeschwerden oder ein unangenehmes Engegefühl in der Brust machen Allergikern gleich mehrere Wochen oder gar Monate im Jahr zur Tortur.
Wann ist Heuschnupfenzeit?
Betroffene leiden nicht nur im Frühling oder im Sommer. Hasel und Erle etwa plagen sie schon ab Dezember oder Januar. Bis im April folgen dann verschiedene Baumsorten. Im Spätfrühling und Sommer müssen Allergiker vor allem Gräser ertragen. Je nach Wetter streuen Pflanzen ihre Pollen jedes Jahr zu leicht unterschiedlichen Zeiten und auch verschieden stark. Auf Allergikerkarten, etwa von Meteo Schweiz, kann man sich jeweils zum Pollenflug informieren.
So oder so: Vermeiden können Menschen mit Heuschnupfen den Kontakt mit sogenannten Allergenen, den Stoffen, die ihre Beschwerden auslösen, leider kaum – diese schwirren den ganzen Tag und in teilweise sehr hoher Konzentration um sie herum.
Heuschnupfen: Wer ist betroffen?
Warum es trifft, wen es trifft, ist nicht vollständig geklärt. Wahrscheinlich spielen genetische Faktoren eine wichtige Rolle, denn die Neigung zu Allergien kann weitervererbt werden. Auch unsere extrem hygienische Lebensweise soll Heuschnupfen begünstigen. «Zudem scheinen die Pollen durch die Umweltverschmutzung über die Jahre aggressiver geworden zu sein und können dadurch mehr Menschen sensibilisieren», stellt Dr. med. Gerhard Müllner, Chefarzt Allergologie und Stv. Leiter des Zentrums für Allergologie und Dermatologie am Luzerner Kantonsspital, fest.
Behandlung: Was tun gegen Heuschnupfen?
«Zum Glück gibt es heute aber einen ganzen Strauss an wirksamen Medikamenten zur Behandlung von Heuschnupfen: Dieser besteht aus antientzündlichen Nasensprays, antiallergischen Augentropfen und Antihistaminika in Tabletten- und Tropfenform», so der Allergologe. Meist hemmen darin sogenannte Antihistaminika das Histamin, also den Botenstoff im Körper, der die Immunreaktion bei Allergien auslöst.
Auch Kortison in Nasensprays und antiallergische Augentropfen (mit und ohne Kortison) helfen gegen Heuschnupfen, da diese Entzündungsreaktionen verhindern. Müllner betont: «Lokale kortisonhaltige Nasensprays sind die wirksamsten Medikamente bei Heuschnupfen. Viele kaufen sich aber erst mal Antihistaminika in der Apotheke und benötigen immer mehr und mehr davon, um eine gleichbleibende Wirkung aufrechtzuerhalten. Dabei ist der kortisonhaltige Nasenspray sehr verträglich und lange ohne Probleme anwendbar.
Antiallergische Augentropfen ohne Kortison dürfen ebenfalls bedenkenlos über längere Zeit angewendet werden. Kortisonhaltige Augentropfen hingegen sollten in Absprache mit dem Augenarzt angewendet werden.»
Desensibilisierung: Das Übel an der Wurzel packen
Helfen Medikamente zu wenig oder möchte man langfristig auf sie verzichten, ist der zweite Schritt die Desensibilisierung, auch Hyposensibilisierung, Allergie-Impfung oder Immuntherapie genannt. Dabei wird das Problem an der Wurzel gepackt, statt nur die Symptome des Heuschnupfens zu bekämpfen: «Wir gewöhnen das Immunsystem schrittweise an die allergenen Stoffe, sodass die Überreaktion zurückgeht und die Beschwerden abnehmen», sagt Müllner. Schon ab dem fünften Lebensjahr darf mit der Therapie begonnen werden, die von der Krankenkasse gedeckt ist.
Wichtig zu wissen ist – gerade jetzt, wo das Impfen manchen Menschen Angst mache –, dass es sich bei der Allergie-Impfung um eine natürliche Behandlung handelt. «Wir spritzen keine Medikamente, sondern die Pollen unter die Haut, auf welche der Patient allergisch ist.» Zunächst passiert dies einmal die Woche bis zum Erreichen der Erhaltungsdosis, danach wird diese alle vier bis sechs Wochen verabreicht.
Wer eine Abneigung gegen Spritzen hat oder nicht so oft in die Praxis kommen kann, greift auf die sogenannte sublinguale Immuntherapie (in Tropfen- oder Schmelztablettenform) zurück. Die Substanzen müssen dann aber täglich daheim und während eines halben Jahres eingenommen werden. Rund drei Jahre dauern beide Therapieformen insgesamt, der Effekt hält aber weit länger an. Nach einer gewissen Zeit müsse dann allerdings meistens nochmals desensibilisiert werden, da die Wirkung über die Zeit nachlasse, so Müllner.
Desensibilisierung zeigt sehr gute Wirksamkeit
«Bei den allermeisten Patienten ist die Behandlung äusserst wirksam und gut verträglich. Die Beschwerden gehen um rund 50 bis 90 Prozent zurück.» Danach brauchen Allergiker meistens deutlich weniger Medikamente. Dennoch macht die Desensibilisierung vielen Angst, weshalb sie oft sehr spät und nur dann, wenn die Lebensqualität stark eingeschränkt ist, angewendet wird. «Dabei sind starke Nebenwirkungen extrem selten und Langzeitnebenwirkungen nicht bekannt», so der Arzt.
Kurzzeitig können lokale Schwellungen oder Ausschläge, Heuschnupfensymptome, Nesselsucht oder auch ein Asthmaanfall ausgelöst werden. Diese Nebenwirkungen treten typischerweise innert 30 Minuten nach der Injektion auf. Deshalb werden die Patienten nach der Injektion zur Beobachtung in der Praxis behalten. Wer kurz nach dem Piks noch auf Sport und Alkohol verzichtet, schont seinen Körper. Einem gediegenen Sommerpicknick ohne triefende Nase steht dann bald nichts mehr im Wege.