Holistische Gesundheit: mehr als Wellness

Auch wenn es wie ein Hashtag klingt: Holistic Health ist nicht einfach ein weiterer Trend, der Badezusätze, Smoothies und Ähnliches propagiert. Vielmehr trägt der ganzheitliche Ansatz dazu bei, dass wir gesünder und zufriedener werden. Bequem ist der Weg dahin aber nicht.

Text: Julie Freudiger; Foto: iStock

Hinter dem Begriff Holistic Health steckt nichts anderes als ganzheitliche Gesundheit: Der Mensch mit all seinen Facetten steht im Zentrum, nicht ein einzelnes Leiden. Um gesund zu werden oder zu bleiben, reicht es daher nicht aus, sich allein um akute körperliche Beschwerden zu kümmern. Mentale, emotionale und soziale Aspekte gehören ebenso dazu. Naturheilkundliche Praktiken verfolgen das Konzept der ganzheitlichen Medizin seit Jahrtausenden. 

Lara Huber, Naturheilpraktikerin und Inhaberin der Venti Gesundheitspraxis in Zürich, erklärt: «Ganzheitlich bedeutet, dass wir die Ursachen von Beschwerden ins Auge fassen, und nicht nur die Symptome mit Medikamenten behandeln.» Ob wir gestresst sind, uns einseitig ernähren oder wenig und schlecht schlafen – alles hat einen Einfluss auf unsere Gesundheit und kann etwa die Verdauung oder den Hormonhaushalt aus der Bahn werfen, sagt Lara Huber. 

Die wichtigsten Pfeiler holistischer Gesundheit sind: Bewegung, Ernährung, Erholung und Schlaf. «Durch Bewegung kommen wichtige Stoffwechselprozesse in Gang, die Lymphflüssigkeit wird besser abgeführt und das Stresshormon Cortisol wird abgebaut», erklärt Lara Huber. Wobei dazu keine wettkampfgetriebenen Höchstleistungen nötig sind. Im Vordergrund stehen Erholung und Selbstfürsorge.

«Viele stellen sich eine gesunde Lebensführung einfacher vor, als sie es ist.»
Lara Huber, Naturheilpraktikerin in Zürich

Entspannung als Schlüssel

Der Entspannung kommt in der holistischen Gesundheit eine grosse Bedeutung zu, da sich der Körper nur in der Ruhe vollständig regenerieren kann. Zudem funktionieren gewisse Prozesse unter Anspannung nicht richtig, beispielsweise die Verdauung. Echte Entspannung ist in der heutigen Zeit aber mehr Luxus als Normalität. «Viele wissen gar nicht mehr, wie das geht», sagt Lara Huber. Jeden Abend vor dem Fernseher oder dem Handy zu sitzen, gehört laut Huber beispielsweise nicht dazu. «Das ist nur Ablenkung, das Gehirn bleibt beschäftigt.» Meditation, Yoga oder Waldbaden lassen den Verstand hingegen zur Ruhe kommen.

Holistic Health klingt nach Wellness und tatsächlich ist Gesundheit laut dem deutschen Zukunftsinstitut auch ein Megatrend. Lara Huber relativiert aber: «Der Wunsch nach einer gesunden Lebensführung ist zwar sehr präsent. Viele stellen sich diese aber einfacher vor, als sie es ist. Sie erhoffen sich oft ein Präparat, das alles löst.» Doch holistische Gesundheit hat viel mit Eigenverantwortung zu tun, ohne eine Anpassung des Lebensstils geht es laut Huber nicht. «Das kann zu Beginn aufwendig und unbequem sein.»

«Jeder Mensch hat andere Baustellen. Die Ernährung muss daher individuell angepasst werden.»
Lara Huber, Naturheilpraktikerin in Zürich

Was ist holistische Ernährung?

Was wir essen, beeinflusst unsere Gesundheit. Doch welches Ernährungskonzept ist das richtige für mich? Low Carb, glutenfreie Ernährung oder Intervallfasten? «Eine ganzheitliche Ernährung ist vor allem möglichst vielseitig und enthält alle Makro- und Mikronährstoffe», sagt Lara Huber. Meistens bedeutet das für ihre Patienten viel mehr Gemüse und Hülsenfrüchte, als sie gewohnt sind. Im Gegenzug müssen Weissmehl, tierische Fette und Zucker oft reduziert werden. Ein Schema F oder die Universaldiät X gibt es aber im holistischen Ansatz nicht. «Jeder Mensch hat andere Baustellen und muss dementsprechend individuell ansetzen, um seine Situation zu verbessern.» Lara Huber betont aber auch, dass eine gesunde Ernährung wenig nützt, wenn die Darmschleimhaut angegriffen ist oder die Verdauung nicht richtig funktioniert. 

Nicht zuletzt geht es darum, sich selbst besser zu spüren, statt einem Automatismus zu folgen. Wann bin ich wirklich satt? Schmeckt mir der Salat zum Abendessen? Esse ich, weil ich hungrig bin oder aus Frust, Freude, Langeweile? Huber warnt aber auch davor, Signale falsch zu interpretieren. Wer beispielsweise nie Hülsenfrüchte oder andere Ballaststoffe gegessen hat, wird zu Beginn Blähungen davon bekommen. Nach einer Weile wird sich die Verdauung daran gewöhnen. Auf den eigenen Körper zu hören ist wünschenswert, findet die Expertin. «Aber viele müssen erst wieder lernen, was eine gesunde Ernährung ist.»

Holistische Medizin 

Die holistische Medizin ist immer gefragter, gerade auch in Kombination mit konventioneller Medizin. Davon zeugen die Bestrebungen zahlreicher Spitäler, integrative Therapien anzubieten. Integrative Medizin versteht sich als Verbindung von konventioneller und komplementärer Medizin. Auch Lara Huber ist überzeugt, dass Schulmedizin und Naturheilkunde keine Gegensätze sind, sondern sich ergänzen. «In meinen Augen sollten die Schulmedizin und die Naturheilkunde Hand in Hand gehen. Konventionelle Medizin ist bei schweren Erkrankungen unverzichtbar, die Naturheilkunde kann begleitend unterstützen.»

Die Naturheilkunde kann zudem eine positive Signalwirkung auf die Patientinnen und Patienten haben, indem sie an deren Eigenverantwortung appelliert. Nicht zuletzt spielt die Prävention in der holistischen Medizin eine zentrale Rolle: Wer sich frühzeitig und auf mehreren Ebenen um sein Wohlbefinden kümmert, wird nicht so schnell krank. «Als Naturheilpraktikerin möchte ich das Bewusstsein dafür schärfen, dass man frühzeitig handeln sollte. Nicht erst dann, wenn die Beschwerden bereits gravierend sind.» Die beste Vorsorge? Eine ganzheitliche Ernährung, Bewegung im Alltag, ausreichend Entspannung und soziale Kontakte. Damit alle Ebenen – Körper, Psyche und Geist – in Balance sind. 

Wenn Selbstoptimierung zur Besessenheit wird

Auch wenn der ganzheitliche Ansatz sinnvoll ist, gibt es Kritik am Trend der holistischen Gesundheit. Denn die Gesundheitsoptimierung kann ins Gegenteil kippen. Immer gibt es etwas zu tun: gesund kochen, sich pflegen, bewegen und straffen, meditieren, heilen, und sich gefälligst erholen. Für Genuss, Unproduktivität, Schwächen und Imperfektion bleibt keine Zeit. Gesund zu sein, wird zur Besessenheit. Und kann sogar ungesund werden. Orthorexie beschreibt ein zwanghaftes Essverhalten, bei dem Betroffene manisch nur noch nach ihrer Auffassung gesunde Lebensmittel zu sich nehmen.

Findige Unternehmen haben zudem längst das Geschäft gewittert und die Marketingmaschinerie angeworfen: Holistische Fitness- und Wellnessangebote, Pülverchen und Kapseln, teure Cremes und Badezusätze versprechen Wunder. Doch ganzheitliche Gesundheit und Selbstfürsorge hat nichts mit Selbstoptimierung und Streben nach Schönheitsidealen zu tun. Sondern schlicht und einfach mit Gesundheit im Sinne von sich wohl fühlen. Auch Lara Huber warnt vor dem Optimierungszwang: «Am Ende geht es darum, die Achtsamkeit für unsere Gesundheit zu schärfen und eine Balance zwischen Genuss und gesundheitsfördernden Massnahmen zu finden.»

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