Dossier: Starke Psyche

Bipolare Störung: Leben in Extremen

Stimmungsschwankungen gehören zum Alltag, doch bei einer Bipolaren Störung wechseln Personen ohne erkennbaren Auslöser zwischen extremen Hochs und Tiefs. Die Erkrankung ist nicht heilbar, aber dank einer Vielzahl von Therapieansätzen gut behandelbar.

Text: Nicole Krättli; Foto: iStock

Manchmal strahlen wir vor Freude, weil etwas Schönes passiert. Dann wieder sind wir niedergeschlagen, weil wir ein tragisches Erlebnis verkraften müssen. Und manchmal wissen wir nicht, warum wir uns gut oder schlecht fühlen. Manche Menschen erleben allerdings Stimmungsschwankungen, die weit über die üblichen Hochs und Tiefs hinausgehen. «Menschen mit einer Bipolaren Störung erleben in manischen Phasen extreme Hochgefühle. Sie sind voller Energie, kreativ und glauben, alles erreichen zu können. Dies kann dazu führen, dass sie sich überschätzen, riskante Entscheidungen treffen oder unvorsichtig werden», erklärt Gregor Hasler, Professor für Psychiatrie an der Universität Freiburg und Präsident der Schweizer Gesellschaft für Bipolare Störungen.

Manische Phasen können auch mit ungewöhnlicher Kontaktfreudigkeit, einer Neigung zu sexuellen Abenteuern und übermässigem Geldausgeben einhergehen. Manche Betroffene schlafen kaum, da sie vor Energie fast platzen. In schweren Fällen kann die Manie zu psychotischen Symptomen führen, etwa Grössenwahn oder Halluzinationen.

Das andere Extrem ist die depressive Phase, in der Betroffene dauerhaft antriebslos, müde und niedergeschlagen sind. Sie haben wenig Energie, verlieren das Interesse an ihren Hobbys und ziehen sich sozial zurück. Auch körperliche Beschwerden wie Schlafstörungen, Kopfschmerzen oder Verdauungsprobleme sind während solcher Episoden keine Seltenheit. Schuldgefühle, Hoffnungslosigkeit und Gedanken an den eigenen Tod sind ebenfalls möglich. Depressive Phasen können länger dauern als manische und treten vielfach öfter auf.  

«Viele Menschen glauben fälschlicherweise, dass bei der Bipolaren Störung ein schneller Emotionswechsel stattfinde. In der Regel dauern die jeweiligen Stimmungen jedoch mehrere Wochen an.»
Gregor Hasler, Professor für Psychiatrie an der Universität Freiburg

Ab wann spricht man von einer Bipolaren Störung?

Die Bipolare Störung ist keine seltene Krankheit. Ungefähr 3 von 100 Menschen entwickeln sie im Lauf ihres Lebens, oft beginnt sie bereits im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter. «Viele Menschen glauben fälschlicherweise, dass bei der Bipolaren Störung ein schneller Emotionswechsel stattfinde. In der Regel dauern die jeweiligen Stimmungen jedoch mehrere Wochen an», erklärt Gregor Hasler.

Gemäss dem Klassifikationssystem ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegt eine Bipolare Störung dann vor, wenn eine Person mindestens zwei Episoden erlebt hat, in denen ihre Stimmung und ihr Aktivitätsniveau deutlich beeinträchtigt waren. Eine dieser Episoden muss eine depressive Phase sein, während eine andere durch manische oder hypomanische Symptome – eine mildere Form der Manie mit weniger extremen Symptomen – gekennzeichnet ist.

Fachleute unterscheiden zwischen zwei Haupttypen der Bipolaren Störung:

  • Bipolar-I-Störung: Diese Form ist durch klare manische und depressive Phasen gekennzeichnet. In der manischen Phase sind Betroffene energiegeladen, euphorisch und impulsiv. Die depressive Phase zeigt das Gegenteil: Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit und negative Gedanken.
  • Bipolar-II-Störung: Anstelle von Manie erleben die Betroffenen Hypomanie, eine mildere Form. Die depressiven Phasen ähneln jedoch jenen der Bipolar-I-Störung.

Ursachen von Bipolaren Störungen nicht restlos geklärt

Experten vermuten, dass eine Kombination aus biologischen und psychosozialen Faktoren das Risiko erhöht, an einer Bipolaren Störung zu erkranken. Die Erkrankung tritt in einigen Familien häufiger auf. Veränderungen in bestimmten Genen, die den Stoffwechsel von Botenstoffen im Gehirn beeinflussen, könnten eine Rolle spielen.

Umwelteinflüsse, insbesondere Stress, können bei der Entstehung einer Bipolaren Störung ebenfalls eine Rolle spielen, erklärt Prof. Gregor Hasler. Lebensveränderungen wie der Verlust eines geliebten Menschen, aber auch positive Ereignisse wie beispielsweise eine Hochzeit können einen solchen Stress auslösen.

Eine Studie von Forschern der isländischen Universität Reykjavik zeigte zudem einen genetischen Zusammenhang zwischen hoher Kreativität und bestimmten psychischen Erkrankungen. Die Wissenschaftler analysierten das Erbgut von mehr als 150 000 Menschen. Das Ergebnis: Menschen in kreativen Berufen wie Schauspielerin, Musiker oder Autorin tragen oft Risikogene, die auch mit psychischen Erkrankungen wie Bipolaren Störungen verbunden sind. Die Studie deutet also darauf hin, dass Kreativität und psychische Instabilität gemeinsame genetische Wurzeln haben können.  

«Wir erleben es immer wieder, dass jemand wegen eines Burn-outs therapiert wird, es sich eigentlich aber um eine Bipolare Störung handelt.»
Gregor Hasler, Professor für Psychiatrie an der Universität Freiburg

Diagnose von Bipolaren Störungen ist schwierig

Wenn Sie oder ein Angehöriger mit starken Stimmungsschwankungen zu kämpfen haben, kann eine erste Anlaufstelle die hausärztliche oder psychiatrische Praxis sein. In Gesprächen berichten Betroffene oft eher über depressive Phasen als über manische, da sie sich während einer Manie meist energiegeladen und euphorisch fühlen und die Symptome nicht als problematisch wahrnehmen.

Die Bipolare Störung kann leicht mit anderen psychischen Erkrankungen verwechselt werden. Suchterkrankungen, Schizophrenie oder die emotional instabile Persönlichkeitsstörung des Borderline-Typs zeigen ähnliche Symptome. Zudem können Menschen mit Bipolarer Störung auch an anderen psychischen Erkrankungen wie Angststörungen, Essstörungen oder ADHS leiden. «Wir erleben es immer wieder, dass jemand wegen eines Burn-outs therapiert wird, es sich eigentlich aber um eine Bipolare Störung handelt», sagt Prof. Hasler. Auch deshalb dauert es meist lange, bis die korrekte Diagnose von Bipolaren Störungen gestellt werden kann.  

Manien sind schädlich fürs Gehirn

Bipolare Störungen sind nicht heilbar. Trotzdem sind eine frühe Diagnose und Behandlung wichtig. «Während einer manischen Phase läuft das Gehirn gewissermassen heiss, dadurch können schwere neurologische Schäden entstehen, die eine nächste manische Phase verstärken und das Demenzrisiko erhöhen», erklärt Hasler. Auch das Risiko für körperliche Krankheiten, vor allem Herz-Kreislauf-Erkrankungen, ist ohne Behandlung erhöht.

Das Akzeptieren ihrer eigenen Krankheit fällt Menschen mit Bipolarer Störung allerdings oft schwer. Besonders in den manischen Phasen ist es nahezu unmöglich, das Problem zu erkennen. Aber auch nach der Diagnose und während der Behandlung bleibt bei vielen Betroffenen die Einsicht aus. Gregor Hasler erklärt: «Es ist schwer zu begreifen, dass der Zustand, der sich so gut anfühlt, so schlecht für sie sein soll.»  

Wie können Angehörige und Freunde Betroffenen helfen?

Diese abwehrende Haltung kann auch für das Umfeld belastend sein, weiss Experte Hasler. Angehörige und Freunde wissen oft nicht, wie sie damit umgehen sollen. In der manischen Phase ist es meistens besser, Konflikte zu meiden und Probleme erst danach anzusprechen. Wichtig ist, Betroffene zu beruhigen, auf ausreichend Schlaf zu achten und gegebenenfalls einen Arzt zu kontaktieren. In der depressiven Phase bringt Aufmunterung meist wenig. Eine klare Tagesstruktur und praktische Unterstützung können stattdessen helfen. Wenn Suizidgedanken auftreten, ist ein offenes Gespräch ebenso unerlässlich wie die Unterstützung bei der Suche nach professioneller Hilfe.

«Viele Menschen mit einer Bipolaren Störung können dank einer Langzeitbehandlung ein normales und erfolgreiches Leben führen.»
Gregor Hasler, Professor für Psychiatrie an der Universität Freiburg

Bipolare Störung: nicht heilbar, aber gut behandelbar

Die Bipolare Störung ist nicht heilbar, aber sie lässt sich behandeln. «Die Therapie umfasst in der Regel Medikamente und Psychotherapie», erklärt Hasler. Die Medikamente zielen darauf ab, Stimmungsschwankungen zu minimieren und das Wiederauftreten extremer Phasen zu verhindern. Psychotherapie, besonders kognitive Verhaltenstherapie, ergänzt die medikamentöse Behandlung.

Sie hilft Betroffenen, mit Symptomen umzugehen und Auslöser zu erkennen. Auch andere psychotherapeutische Ansätze wie die familienfokussierte Therapie oder die interpersonelle und soziale Rhythmustherapie können die medikamentöse Behandlung der Bipolaren Störung unterstützen. «Viele Menschen mit einer Bipolaren Störung können dank einer Langzeitbehandlung wieder ein normales und erfolgreiches Leben führen», erklärt Prof. Hasler.  

Über den Experten

Prof. Dr. med. Gregor Hasler ist Psychiater, Psychotherapeut und Neurowissenschaftler und leitet den Lehrstuhl für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Freiburg. Zu seinen wissenschaftlichen Schwerpunkten zählen unter anderem die Stressforschung, soziale Neurowissenschaften sowie Epigenetik.

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