Wie funktioniert Online-Psychotherapie?

Lassen sich Depressionen, Angststörungen oder andere seelische Leiden per Computer behandeln? Online-Psychotherapien boomen, denn sie versprechen unkomplizierte Hilfe bei psychischen Problemen. Zu Recht?

Text: Ruth Jahn, Julie Freudiger; Foto: Stefan Vladimirov/Unsplash

Immer mehr Aspekte des alltäglichen Lebens verlagern sich ins Internet. So auch psychologische Beratungen und Psychotherapien. Und das ist gut so, sagt Professor Andreas Maercker, Ordinarius für Psychopathologie und Leiter des psychologischen Instituts an der Uni Zürich, dezidiert. «Ich habe mich zu einem glühenden Verfechter von Onlinetherapien gewandelt, weil nahezu alle wissenschaftlichen Studien zeigen, dass diese spezielle Art von Psychotherapie funktioniert.» Psychologinnen aus Fleisch und Blut würden dadurch nicht überflüssig, betont er.

«Die klassische Sprechzimmertherapie wird es auch künftig geben. Aber Onlineangebote sind als Ergänzung unterdessen unverzichtbar.» Nonverbale Signale der Patienten entfallen zwar und es entsteht auch keine Beziehung zu einem menschlichen Therapeuten. Aber die Therapie per Computer erreicht Menschen, die sich mit dem Gang zur Psychologin schwertun oder ihn wegen ihrer psychischen Erkrankung gar nicht bewältigen können. Ein gewichtiges Argument, findet Andreas Maercker, denn rund ein Drittel bis die Hälfte der Menschen mit Depressionen, Ängsten, Zwangs- oder Persönlichkeitsstörungen in der Schweiz bleiben unbehandelt – unter anderem aus falscher Scham, sich vom Psychologen oder von der Ärztin helfen zu lassen.

Therapiearten mit dem grössten Effekt 

Es gibt aber nicht die eine Online-Psychotherapie, sondern eine Vielzahl an Möglichkeiten: Da sind zum einen Psychologinnen, die mit ihren Klienten per E-Mail oder Video-Call kommunizieren, und zum anderen reine Apps oder Computerprogramme (sogenannte Low-Intensity Treatments), durch die sich die Nutzerinnen von Frage zu Frage und von Tipp zu Tipp klicken. Und seit rund fünf Jahren werden auch sogenannte Chatbots erprobt. Sie setzen auf synchrone Kommunikation und sprechen die Nutzer scheinbar persönlich an.

«Die Inhalte der Programme sind aber nur das eine», betont Maercker. «Genauso wichtig ist die imaginierte Beziehung zum virtuellen Gegenüber. Die Programme sind bewusst so gemacht, dass man denkt, da ist jemand Kluges, die mir zuhört und mich versteht», erläutert der Psychologe. Die Abbruchrate bei Onlinetherapien ist zwar hoch. Aber wer dranbleibt, hat gute Chancen, zu profitieren.

Besonders die kognitive Verhaltenstherapie bietet sich für Onlinebehandlungen an und zeigt in Studien bislang den grössten Effekt, verglichen mit reiner Informationsvermittlung oder einfacher Verhaltenstherapie. Im Vordergrund kognitiver Verhaltenstherapien stehen konkrete Tipps, die den Betroffenen dabei helfen, ihr Verhalten zu ändern und negative Gedanken umzupolen. Die Gesprächstherapie eignet sich ebenfalls. Sie zielt darauf ab, problematische Denkmuster aufzudecken und sich dadurch weiterzuentwickeln.

Am vielversprechendsten aber sind Kombinationen aus virtueller und realer Hilfe. Onlineangebote also, die therapeutisch begleitet werden. Solche Programme laden etwa dazu ein, periodisch Tagebuch oder Briefe zu schreiben, die der Therapeut dann liest und als Grundlage für seine Psychotherapie nutzt. 

Welche psychischen Krankheiten sind online therapierbar?

Auch wenn die Forschung zu internetbasierten Therapien noch jung ist, gibt es bereits zahlreiche Studien zum Thema. Das Resultat: Der Therapieeffekt von Onlinebehandlungen ist im Mittel vergleichbar mit demjenigen der herkömmlichen Psychotherapie. Insbesondere bei posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), sozialen Phobien und Panikstörungen zeigen Online-Psychotherapien grosse Wirkung.

Bei einer Depression, das legen die Studien nahe, ist eine kombinierte Behandlung mit einem persönlichen therapeutischen Kontakt besser. Weitere seelische Leiden, bei denen Onlinetherapien gut untersucht sind, sind unter anderem Angst-, Panik-, Schlaf- sowie verschiedene Essstörungen. 

Für Personen, die sich in akuten Krisen befinden, insbesondere bei einem Suizid- oder Dissoziationsrisiko, sowie bei einer akuten Psychose oder bei Alkohol- und Drogenproblemen sind Onlinetherapien allerdings nicht angezeigt. 

Onlinetherapien: unsere Empfehlungen

  • Gaia: Die Online-Coachingprogramme beruhen auf kognitiver Verhaltenstherapie und bieten Unterstützung bei Stress, Burn-out, Niedergeschlagenheit, depressiven Verstimmungen, Sorgen und Ängsten. 
  • Klenico: Anhand eines wissenschaftlich geprüften Online-Fragebogens und eines Gesprächs mit einer Fachperson wird eine individuell passende Therapie vorgeschlagen.
  • Aepsy: Die Schweizer Plattform vermittelt erfahrene Psychologinnen und Psychologen – für Online-Psychotherapien oder live vor Ort.
  • HelloBetter: Die Online-Therapiekurse unterstützen Sie bei zahlreichen psychischen Herausforderungen – von Schlafproblemen und Panik über Stress bis hin zu Depressionen. 

Mehr Informationen zu diesen Online-Psychotherapien sowie weitere Unterstützung und Tipps rund um die psychische Gesundheit finden Sie in unserem kostenlosen Guide für mentale Gesundheit in der Sanitas Portal App. 

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