Künstliche Intelligenz in der Medizin: 4 Beispiele
Bereits heute verbessert künstliche Intelligenz Diagnostik, Therapie, Prävention und Effizienz. In Zukunft wird sie noch viel stärker zur smarten Assistentin.

Künstliche Intelligenz erledigt für Professor Mauricio Reyes bestimmte Arbeiten in wenigen Minuten – ein Mensch würde mindestens eine Stunde dafür benötigen. Und das mit einer Verlässlichkeit, die teilweise besser ist als das geschulte Auge einer Ärztin oder eines Arztes.
Mauricio Reyes ist Professor am Center for Biomedical Engineering Research ARTORG an der Universität Bern. Zusammen mit einem Forschungsteam hat er eine KI-basierte Anwendung entwickelt, die bei Patient:innen mit einem Gehirntumor in wenigen Minuten anhand eines Hirnscans die Grösse des gesamten Tumors sowie das vom Tumor beschädigte Umfeld ermittelt.
«So weiss eine Onkologin innert kürzester Zeit, welche Areale eines Tumors sie operativ entfernen kann, wo bestrahlt werden muss und wo allenfalls nicht eingegriffen werden kann, damit keine unerwünschten Hirnareale verletzt werden», sagt Professor Reyes.
Die Anwendung hat er in Zusammenarbeit mit dem Start-up Neosoma entwickelt. Sie ist in den USA bereits zugelassen und wird dort von verschiedenen Krebszentren angewandt.
Als Nächstes soll auch das Inselspital in Bern die Anwendung einführen – mit dem Ziel, Tumore noch früher zu erkennen, Nebenwirkungen bei der Behandlung zu reduzieren und weniger invasive Operationsmethoden zu finden.
KI verbessert die Diagnostik
Professor Reyes’ Anwendung ist ein Beispiel für die besondere Stärke, die KI überall dort in der Medizin zeigt, wo grosse Mengen an Bild-, Labor- und Vitaldaten ausgewertet werden müssen, insbesondere bei Krebstypen, neurologischen Erkrankungen, Hautkrankheiten und in der radiologischen Diagnostik.
In diesen Bereichen ist KI längst zum «zweiten Paar Augen» geworden und erkennt Muster, die fürs menschliche Auge oft unsichtbar bleiben. Das verbessert die Frühdiagnose, um Verdachtsfälle schneller zu identifizieren und besser behandeln zu können.
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Radiologie und Bildgebung
Heutzutage analysiert künstliche Intelligenz Röntgenbilder, CTs und MRTs zuverlässig auf kleinste Auffälligkeiten. Sie erkennt Tumore, Mikrokalk als Indikator für Brustkrebs, Lungenknoten oder winzige Gehirnmetastasen oft schneller und präziser als das menschliche Auge.
Auch bei Ultraschalluntersuchungen und endoskopischen Bilddaten unterstützt KI die Analyse und hilft, etwa Polypen im Darm oder Läsionen im Körper zu entdecken.
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Krebstherapie
KI-Systeme helfen vor allem bei der frühzeitigen Erkennung von Tumoren in der Brust, Lunge, Prostata oder Blase. Neuartige Algorithmen können bereits im Blutplasma molekulare Spuren von Krebs identifizieren – teils schon im sehr frühen Stadium.
Wie jüngst eine Studie des Max-Planck-Instituts gezeigt hat, liegt die Trefferquote von KI beim frühzeitigen Aufspüren von Lungenkrebs bei etwa 88 Prozent.
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Augenheilkunde
Auch in der Augenheilkunde kommt KI zum Einsatz. Hier hilft sie dabei, Netzhauterkrankungen, diabetische Retinopathie oder Makuladegeneration frühzeitig zu erkennen. Dafür wertet sie Netzhaut-Screenings automatisch aus.
Besonders bei Netzhauterkrankungen wie dem grünen Star (Glaukom) oder der altersbedingten Makuladegeneration (AMD) erkennt KI kleinste strukturelle Veränderungen. Dadurch lassen sich Erkrankungen schon in sehr frühen Stadien diagnostizieren und Therapien gezielt steuern.
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Herzmedizin
Bei Diagnosen und Vorhersagen hat KI die Kardiolog:innen schon überholt. So wertet sie komplexe Bilddaten wie Herz-MRTs oder CTs vollautomatisch aus.
Sie erkennt Gefässverengungen, analysiert 3D-Modelle der Herzkranzgefässe und misst den Füllungsdruck in den Herzkammern. So können Durchblutungsstörungen und Herzinsuffizienz schneller, schonender und genauer erkannt werden – und manche invasive Diagnoseschritte lassen sich so bereits ersetzen.
KI scannt EKGs und andere grosse Datenmengen von Patient:innen auf Unregelmässigkeiten und erkennt Herzrhythmusstörungen oder Anzeichen für einen Herzinfarkt sowie kardiovaskuläre Risikofaktoren oftmals früher als das menschliche Auge. So kann die Medizin Hochrisikopatient:innen früher erkennen.
KI unterstützt auch in der Chirurgie: KI-gestützte Bildverarbeitung, Robotik und Echtzeitanalyse helfen den Operateur:innen bei komplexen Herz-OPs und minimalinvasiven Eingriffen und erhöhen so Präzision und Patientensicherheit.
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Dermatologie
In der Hautkrebsdiagnostik erkennt KI zuverlässig bösartige Hautveränderungen anhand von Bilddaten, klassifiziert Muttermale und hilft, chronische oder seltene Hauterkrankungen schneller zu identifizieren.
Die Dermatologie war eines der ersten medizinischen Fachgebiete, in denen sich KI etablieren konnte, vor allem aufgrund der einfachen Verfügbarkeit und Standardisierung von Bilddaten (z. B. Fotos von Hautläsionen, Muttermalen).
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Neurologie
Die KI-gestützte Auswertung von MRT-Daten und Hirnstrommessungen hilft dabei, Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder Epilepsie frühzeitig zu erkennen. KI kann zum Beispiel epileptische Anfälle basierend auf Daten aus Hirnstrommessungen oft bereits im Voraus prognostizieren.
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Pathologie
In der Pathologie übernimmt KI Aufgaben wie etwa die automatische Tumorerkennung in Gewebeschnitten (Biopsien).
Die pathologische Diagnostik beruht stark auf der Interpretation von Gewebeproben. KI-Algorithmen können Muster in digitalisierten Gewebeschnitten erkennen, die für die Diagnose relevant sind, wie zum Beispiel Tumorerkennung, Subtypisierung und Quantifizierung von Krebszellen.
KI-Modelle dienen in der Pathologie als systematische Zweitmeinung, die die Diagnose der Fachperson bestätigt oder bei Abweichungen auf mögliche Fehler hinweist. Studien zeigen, dass das Zusammenspiel von Mensch und KI oft bessere diagnostische Ergebnisse liefert als eine Einzelmeinung.
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Gastroenterologie
Während einer Endoskopie im Darm erkennt KI Polypen und Adenome in Echtzeit, mit einer Zuverlässigkeit von über 90 Prozent. Das erhöht die Chancen, potenziell krebserregende Veränderungen frühzeitig zu entdecken.
Zudem analysiert KI Bilddaten aus Endoskopien, Sonografie, Radiologie und Histologie schneller und präziser als traditionelle Methoden. Sie hilft, Krebs oder entzündliche Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts, Lebererkrankungen und andere pathologische Befunde früher und zuverlässiger zu diagnostizieren.
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Labordiagnostik
KI-Algorithmen analysieren grosse und komplexe Datensätze wie genomische Sequenzen, Blutbilder, Biomarker und andere Laborparameter. Sie erkennen zum Beispiel bei Diabetes oder Bluthochdruck Muster, Korrelationen und Anomalien, die für Diagnosen wichtig sind, oft schneller und präziser als traditionelle Methoden.
KI macht die Labordiagnostik schneller, genauer und zuverlässiger, unterstützt die personalisierte Medizin und verbessert die Arbeitsweise in Laboren – und die Patientenversorgung.
«Bereits heute unterstützen KI-gestützte Roboter die Pflege.»
KI assistiert im Klinikalltag
Auch im Klinikalltag hilft künstliche Intelligenz bereits mit. Besonders in grösseren Kliniken werde KI nach und nach mehr in den Klinikalltag integriert, sagt Professor Reyes. «Dafür braucht es jedoch erst die nötige Infrastruktur. Bei kleineren Kliniken fehlt diese – entsprechend wird KI dort noch weit weniger verwendet.»
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Therapie
Bei der Therapie von Patient:innen übernimmt KI im Klinikalltag einige wichtige Aufgaben:
Zum einen unterstützt sie Therapieentscheidungen der Fachpersonen, indem sie grosse Datenmengen aus Patientenakten, bildgebenden Verfahren, Laborwerten und genetischen Informationen analysiert, um individuelle Therapiepläne zu erstellen. Das führt zu massgeschneiderten und effektiveren Behandlungsstrategien.
Zum anderen verbessert KI die Patientenüberwachung, da sie frühzeitig Veränderungen und Komplikationen erkennt – etwa in den Vitalparametern (Herzfrequenz, Blutdruck, Körpertemperatur, Atmung, Sauerstoffsättigung) oder wenn sich eine Blutentzündung im Körper bildet (Sepsis).
Damit übernimmt KI Routineaufgaben und unterstützt das medizinische Personal bei der Auswertung von Patientendaten und der Planung therapeutischer Abläufe. Das steigert die Behandlungsqualität, reduziert Fehler sowie Komplikationen und verbessert so die Patientenversorgung.
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Operationen
Und auch im OP-Saal ist KI auf verschiedene Art und Weise mit dabei.
Während Operationen verfolgt und analysiert KI Bilddaten, meist von Kameras oder endoskopischen Systemen, um die Lage und Orientierung der Instrumente im Operationsfeld zu bestimmen. Das Instrumenttracking erfolgt in Echtzeit, sodass die Operateur:innen jederzeit visuelles oder haptisches Feedback bekommen, wo sich die Instrumente befinden und wie sie bewegt werden.Basierend auf den Live-Bilddaten aus Kameras oder endoskopischen Instrumenten gibt KI präzise Anweisungen an die Chirurgin oder führt robotische Instrumente mit hoher Genauigkeit. Ein Beispiel: Wird bei einer Herz-OP ein Stent gesetzt, helfen KI-gesteuerte Roboterarme oder Assistenzsysteme dem Operateur, den Stent präzise zu platzieren, indem sie minimale Bewegungen steuern oder korrigieren.
KI verschafft den Chirurg:innen zudem eine verbesserte Sicht durch erweiterte Visualisierungen wie 3D-Darstellungen, was die Navigation in engen Gefässen erleichtert.KI analysiert grosse Datensätze aus Patientenakten, Laborwerten, Bilddaten und Vitalparametern, um individuelle Risiken für postoperative Komplikationen wie Infektionen, Thrombosen, Nachblutungen oder Organversagen vorherzusagen. So können gezielt Präventions- und Interventionsmassnahmen eingeleitet werden.
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Überwachungs- und Frühwarnsystem
Besonders auf Intensivstationen spielt KI heute eine wichtige Rolle. Dort überwachen KI-Systeme stetig Vitalparameter wie Herzfrequenz, Blutdruck, Atemfrequenz, Sauerstoffsättigung sowie Laborwerte und demografische Daten der Patient:innen. KI kann dabei oft bis zu 150–170 verschiedene Messgrössen gleichzeitig analysieren.
Die KI-Algorithmen erkennen abnormale Muster oder Trends in diesen Daten frühzeitig, die auf eine Verschlechterung des Gesundheitszustands hindeuten könnten, wie etwa beginnende Infektionen, Herz-Kreislauf-Probleme oder eine drohende Sepsis.
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Trainingstool für Ärzt:innen
KI ermöglicht realistische Simulationen von Operationen, Krankheitsbildern und diagnostischen Abläufen. Ärzt:innen können so komplexe Verfahren in einer risikofreien Umgebung üben und ihre Fähigkeiten verfeinern.
Bei chirurgischen Eingriffen schafft KI virtuelle Realitäten, in denen Fachpersonen mit realistischen Berührungssimulationen (haptisches Feedback) trainieren können. So lassen sich etwa Herz- oder Gehirnoperationen, das Setzen von Stents oder Zahnbehandlungen sicher und realistisch proben.
KI beschleunigt die Medikamentenforschung
Auch in der Entwicklung von Arzneien verhilft KI der Forschung zu schnelleren Fortschritten. Sie beschleunigt dabei vor allem diese Schritte der Wirkstoffentwicklung:
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Schnelleres Screening von Wirkstoffen
KI kann Millionen von Verbindungen von Molekülen in einem Bruchteil der herkömmlichen Zeit analysieren und so potenzielle Wirkstoffkandidaten viel schneller identifizieren. So wird die Entdeckung vielversprechender Moleküle beschleunigt.
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Präzisere Vorhersagen
KI analysiert grosse Datenmengen und erkennt komplexe Muster, womit sie die Wirksamkeit, Sicherheit und Nebenwirkungen potenzieller Medikamente genauer vorhersagen kann. Das erhöht die Treffsicherheit in der frühen Phase der Medikamentenentwicklung.
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Optimierung der Wirkstoffstruktur
KI ist in der Lage, Korrelationen zwischen der chemischen Struktur einzelner Moleküle und deren biologischer Aktivität zu erstellen. Solche Modelle helfen, die chemischen Eigenschaften eines Moleküls zu ermitteln und besser voraussagen zu können, wie gut es wirken könnte.
Zudem kann KI die chemische Struktur eines Moleküls so verändern, dass es als Medikament besser wirkt und weniger Nebenwirkungen hat.
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Effiziente Planung von klinischen Studien
Bei klinischen Studien ist die Auswahl der richtigen Patent:innen zentral. Hier hilft KI mit, indem sie – basierend auf Datenanalysen – Vorhersagen trifft, welche Patient:innen am besten für die Studie passen und wie die Behandlungserfolge ausfallen. Damit gestaltet künstliche Intelligenz die klinische Forschung effizienter und sicherer.
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Kosteneinsparungen
KI automatisiert Analysen und minimiert ineffiziente Forschungswege – was wiederum die Kosten senkt und Ressourcen schont.
Studien zeigen, dass KI die Kosten im frühen Stadium der Medikamentenentdeckung deutlich senken kann. So berichten einige Quellen von Kosteneinsparungen bis zu 75 Prozent bei der Entdeckung neuer Wirkstoffe.
KI verbessert die Pflege
Die Anzahl der Pflegebedürftigen in der Schweiz steigt seit Jahren durch die demografische Entwicklung stark an. Laut Schätzungen werden bis 2050 in der Schweiz etwa 800 000 Menschen über 80 Jahre alt sein.
Diesen Pflegebedarf sollen künftig auch Roboter decken. «Bereits heute unterstützen KI-gestützte Roboter die Pflege bei zahlreichen Aufgaben. Es ist gut möglich, dass sie künftig noch viel stärker und grossflächiger zum Einsatz kommen werden», sagt Professor Reyes.
Ein wichtiger Bereich dabei sei sicher die 24-Stunden-Überwachung von Patient:innen – damit Pflegende schneller handeln können, falls etwas nicht in Ordnung ist.
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Soziale und emotionale Unterstützung
Einige Pflegeroboter wie etwa der rollende Menschenroboter «Pepper» oder die flauschige Therapierobbe «Paro» bieten soziale Interaktion, führen Gespräche mit Menschen, spielen Musik oder dienen – im Falle von Paro – als tiergestützte Therapiealternative.
Das Ziel: Einsamkeit und soziale Isolation reduzieren, was besonders für Menschen mit Demenz wichtig ist.
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Überwachung und Sicherheit
Pflegeroboter können Vitalparameter wie Puls, Temperatur oder Blutdruck messen, Bewegungen überwachen und schnell auf Notfälle wie Stürze reagieren.
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Präzision und Zuverlässigkeit
Roboter sind besonders bei der Abgabe von Medikamenten und Erinnerungen an Termine verlässliche Helfer. Anders als Menschen machen sie bei diesen Aufgaben keine Fehler.
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Automatisierte Pflege
Künstliche Intelligenz übernimmt zeitaufwendige Routine- und Verwaltungsaufgaben wie Dokumentation, Terminplanung, Medikamentenverwaltung und Bestandsaufnahme von Verbrauchsmaterialien.
Dadurch bleibt den Pflegekräften mehr Zeit für die direkte Patientenbetreuung und menschliche Zuwendung.
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Personalisierte Pflegepläne
Basierend auf den individuellen Patientendaten (beispielsweise genetische Informationen, Vitalwerte, Krankheitsverläufe) erstellt KI massgeschneiderte Behandlungs- und Pflegekonzepte für Patient:innen. Das ermöglicht eine präzisere und bedarfsgerechte Versorgung.
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Früherkennung
Intelligente Systeme erfassen Herzfrequenz, Atmung, Schlaf und andere Parameter kontinuierlich und entlasten das Pflegepersonal durch automatisches Alarmieren bei Auffälligkeiten.
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Verbesserte Kommunikation
KI-gestützte Systeme verbessern den Informationsaustausch zwischen Pflegekräften, Ärzt:innen und Patient:innen sowie deren Angehörigen, was die Zusammenarbeit und die Versorgung optimiert.
«Die KI-Systeme müssen transparenter werden.»
Grenzen der KI
Doch trotz allem, was künstliche Intelligenz in der Medizin bereits leistet – mangelt es ihr in einigen Bereichen noch an Können.
Den KI-Anwendungen fehle es oft noch an der notwendigen Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit, da häufig nicht klar sei, wie genau sie zu Entscheidungen gelangen, sagt Professor Reyes. «Die KI-Systeme müssen transparenter werden, damit sie nicht mehr diesen Blackbox-Charakter tragen und ein Dialog zwischen Mensch und KI möglich ist.»
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Unzuverlässig bei Vorhersagen
«Bei Vorhersagen zu möglichen Krankheiten fehlt es der KI heute weitgehend noch an der Zuverlässigkeit», sagt Professor Mauricio Reyes.
Der Grund dafür sei, dass es viel mehr unterschiedliche Daten braucht, damit die KI-Systeme differenzierter lernen und verlässlichere Vorhersagen machen können – zum Beispiel bei der Früherkennung von Krebs, Alzheimer oder eines Herzinfarkts.«Wir finden nicht alle Antworten auf unsere Fragen in den Pixeln», sagt der Professor. Es brauche dazu mehr unterschiedliche Daten.
Ein Beispiel: Bei der Früherkennung von Alzheimer liegen die Hinweise nicht nur im Hirnscan, «sondern eben auch in demografischen Daten wie Alter, Geschlecht, Krankheitsgeschichte, Laborwerten oder soziokultureller Umgebung», sagt Reyes.
Bei manchen Erkrankungen ist die Vorhersage hingegen schon besser möglich. Eine KI erfasst beispielsweise mit einem Gesichtsscan, ob das Bluthochdruckrisiko eines Menschen erhöht ist. Ein anderer Algorithmus analysiert Bewegungsmuster von Kleinkindern.
Bei Anomalien kann KI so zu einer frühzeitigen Diagnose von neurologischen Erkrankungen und Entwicklungsstörungen beitragen.
Diese zusätzlich benötigten Daten zu erheben, ist nicht so einfach. Denn Spitäler sind von ihrer Infrastruktur her bis heute nicht darauf ausgelegt, all diese Daten zu sammeln. «Die Spitäler sind keine Datenzentren und müssen diese Datenseite erst verstehen und umsetzen lernen», sagt Reyes. Dafür brauche es adäquate Schulungen des Personals.
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Psychotherapie – KI fehlt die Empathie
Ein Feld, in dem es heute viel zu wenige Therapieplätze gibt, ist die Psychotherapie. Doch diesen Engpass kann KI nicht lösen: «KI fehlt die Empathie oder die nötigen sozialen Kompetenzen, um Menschen mit psychischen Problemen gegenüberzusitzen», sagt Professor Reyes. Hier sei die menschliche Fachkompetenz unverzichtbar.
Der Forscher sieht die Unterstützung von künstlicher Intelligenz hier höchstens in der Funktion einer Assistentin, die Fachpersonen in ihren Entscheidungsfindungen berät.
Ein Beispiel: Eine Psychiaterin wägt ab, ob eine medikamentöse Behandlung ihres Patienten nötig ist oder nicht. KI hilft ihr, verschiedene Optionen zu beurteilen, zieht dazu alle relevante Literatur sowie patientenspezifische Aspekte bei.
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Herausforderungen beim Datenschutz
Gesundheitsdaten sind besonders heikel, wenn es um den Datenschutz geht. Das seien sich alle involvierten Parteien bewusst, sagt Professor Mauricio Reyes. «Dennoch ist die rechtliche Debatte über den Datenschutz oft mehr von Bedenken als von Logik geprägt.»
Dazu zählen Unsicherheiten bei Ärzt:innen, Spitälern und weiteren Akteuren, was die Datensicherheit angeht, sowie die Angst, dass sensitive Gesundheitsdaten in die falschen Hände geraten könnten. «Interessant ist hingegen, dass die Patient:innen selber fast immer ihre Daten teilen möchten», sagt Forscher Reyes.
Immerhin werden anonymisierte Daten heute jedoch schon häufiger als noch vor wenigen Jahren unter den Spitälern im Inland über eine KI-basierte Cloud ausgetauscht.
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Ethische Fragen
In der Medizin unterstützt KI Aufgaben, die rund um die Uhr Menschen und ihre Gesundheit betreffen. Umso wichtiger sei es, dass die KI-Systeme transparent, verantwortungsvoll und gerecht seien, die Kontrolle in menschlicher Hand liege und die künstliche Intelligenz die Rechte der Patient:innen wahre, sagt Professor Reyes.
Das wirft ethische Fragen auf und erschwert Vertrauen und Akzeptanz gegenüber KI. Dazu brauche es neue technologische Tools, die den Anwender:innen transparent aufzeigen, wie KI funktioniert, sagt Reyes. In der Fachwelt spricht man hier von «erklärbarer KI».
Zudem ist es bis heute trotz vorhandener Richtlinien sehr komplex zu evaluieren, wer genau bei Fehlern oder Fehldiagnosen durch KI-Systeme die Verantwortung und vor allem auch die Haftung trägt.
Dazu müsse die Zusammenarbeit zwischen der Wissenschaft, den staatlichen Einrichtungen und dem medizinischen Personal noch verstärkt werden, sagt Reyes. «Dieser Dialog muss auf wissenschaftlichen Fakten beruhen, damit die Herausforderungen der KI adäquat adressiert werden können.»
Diese Fragestellung wird noch viel wichtiger werden. Denn: In Zukunft ist es gut möglich, dass KI zum Beispiel Chirurg:innen bei einer Operation wie ein Autopilot-Assistent begleitet – wie wir es heute schon beim Autofahren kennen: mit Spurassistenz, Distanzmessung, adaptivem Tempomat.