So verhindern Sie Freizeitstress

Nicht nur die Arbeitstermine vieler Menschen überborden und setzen sie unter Druck. Auch die Freizeit erzeugt zunehmend Stress. Dies muss nicht sein. Wir zeigen, wie Sie Freizeitstress entgegenwirken können.

Text: Robert Wildi; Foto: Unsplash

Freizeitstress, das klingt paradox: Jede und jeder kann doch seine Freizeit so gestalten, wie er will – sollte man zumindest meinen. Doch Dr. Annalisa Stefanelli, in Basel als Psychologin FSP und zertifizierter Life-Coach tätig, bestätigt das Phänomen: «Stress in der Freizeit nimmt zu und ist in jeder Generation spürbar – von Kindern über junge Erwachsene bis hin zu alten Menschen.»

Freizeitstress unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen Stressarten. Es geht stets um ein «Ungleichgewicht zwischen äusseren Anforderungen oder selbst gesteckten Zielen und den persönlichen Möglichkeiten zu deren Bewältigung», so Annalisa Stefanelli. Ein voller Zeitplan führt aber nicht automatisch zu Stress. Entscheidend ist in jedem Fall die individuelle Beurteilung, die Interpretation der Situation: «Stimmt das für mich oder nicht? Verschafft mir die Art und Weise, wie ich meine Zeit ausfülle, Befriedigung? Oder stosse ich an die Grenze meiner Ressourcen und fühle mich überfordert?»

Eustress und Disstress: Wann wird Stress zur Belastung?

Zudem ist nicht jeder Stress negativ: Psychologen unterscheiden zwischen Eustress und Disstress. Eustress resultiert aus herausfordernden, aber bewältigbaren und angenehmen oder lohnenden Aufgaben, zum Beispiel einer sportlichen Leistung, einem öffentlichen Auftritt. Er wirkt positiv, weil er ein Gefühl der Erfüllung, Beherrschung und Leistungsfähigkeit erzeugt. Disstress hingegen wird als Bedrohung, Belastung und Überforderung empfunden, wenn die persönlichen Ressourcen nicht mehr genügen, der Zeitplan zu eng ist und der Druck zu gross wird.

«Langeweile fördert die Kreativität»
Annalisa Stefanelli, Psychologin FSP

«FOMO» – die Angst, etwas Spannendes zu verpassen

Gründe für Freizeitstress gebe es viele, meint die Psychologin: Die Tatsache, dass wir permanent vernetzt sind, ist einer davon. «Wenn Arbeit und Erholung sich vermischen, kann man sich gar keine Freizeit mehr aus dem Alltag herausschneiden. Das verstärkt sich in Zeiten von Homeoffice noch.» Hinzu kommen die Furcht, etwas zu verpassen (Fear of Missing Out, FOMO), und der soziale Druck, die Freizeit «sinnvoll» zu gestalten und auszufüllen: «Es ist beinahe verpönt, mal einfach nichts zu tun.» Zudem fühle man sich irgendwie ausgeschlossen, wenn man bei der Arbeit nichts Spannendes zu erzählen habe, weil man am Wochenende einfach zu Hause gewesen sei und sich entspannt habe, meint Stefanelli.

Oder man stopft den Zeitplan der Kinder mit Sprach- und Musikunterricht, Sport und Förderungsprogrammen voll, um sie permanent auf Trab zu halten. Dabei, sagt Stefanelli, sei «Langeweile für die Entwicklung der Kinder von grosser Bedeutung. Sie fördert Kreativität, bringt die Kinder dazu, selber Lösungen zu finden und eigene Ideen zu entwickeln.»

Hilft die Marie-Kondo-Methode auch gegen Freizeitstress?

Die simple Antwort lautet: Ja! Man kann seine Freizeit aufräumen, wie die japanische Bestsellerautorin Marie Kondo Häuser und Wohnungen ausmistet. Bei Kondo lautet die zentrale Frage: Macht es mich glücklich, wenn ich diesen Gegenstand in die Hand nehme? Wenn nicht: Weg damit! Bei der Freizeitgestaltung lautet die analoge Frage: Entspricht diese Beschäftigung meinen Bedürfnissen? Macht sie Spass oder Freude? Ist sie befriedigend? Wenn nicht, sollte man den Mut haben, sie zu unterlassen.

So wirken Sie Freizeitstress entgegen

  • Lernen, sich klar zu artikulieren und wenn nötig «Nein» zu sagen.
  • Tätigkeiten, die negativen Stress auslösen, gezielt meiden.
  • Zu sich kommen. Bewusst Phasen der Ruhe und des Nichtstuns einbauen.
  • «Flow-Momente», in denen man in seinem Tun aufgeht und das Zeitgefühl verliert, herbeiführen. Egal wie: marschieren, malen, meditieren, Musik hören.
  • Zur Prävention empfiehlt sich die Konsultation einer Psychologin oder eines Life-Coaches «mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der man zur Dentalhygienikerin oder zum Coiffeur geht», sagt Annalisa Stefanelli. «Nicht warten, bis die eigenen Ressourcen aufgebraucht sind.»

Teilen