Dossier: Starke Psyche

Schlafhygiene: wichtig für unsere Psyche

Schlechter Schlaf schlägt aufs Gemüt – das kennen viele. Andersrum schlafen wir in belastenden Situationen nicht gut. Wie gross der Einfluss des Schlafs auf unsere Psyche ist und was wir für guten Schlaf tun können, erklärt Psychiater und Schlafforscher Christoph Nissen.

Text: Katharina Rilling; Foto: Annie Sprat / Unsplash

Wer schlecht schläft, ist launisch, unkonzentriert und weniger belastbar. Konflikte und Fehler häufen sich, die Stimmung sinkt und der Tag zieht sich zäh wie Kaugummi in die Länge. Wir merken schnell: Ohne Schlaf geht es uns nicht gut. Andersrum schlafen wir schlechter, wenn wir unausgeglichen und gestresst sind oder in einer Krise stecken.

Was wir aus dem Alltag kennen, bestätigt auch die Wissenschaft: «Schlaf und psychische Gesundheit stehen in einem engen Wechselspiel miteinander», sagt Schlafforscher und Psychiater Christoph Nissen, Chefarzt und Stv. Direktor an den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern. «Man weiss schon länger, dass es bei vielen psychischen Problemen wie Angsterkrankungen oder Depression zu Schlafstörungen kommt. Jüngere Arbeiten zeigen aber auch den Zusammenhang in die andere Richtung auf: Gesunder Schlaf ist essenziell für unsere psychische Gesundheit.» Was aber genau macht Schlafmangel mit uns? Wie geht gesundes Schlafen? Was hilft zum Einschlafen? Und ab wann schaden uns schlaflose Nächte? 

Fakt 1: Schlafstörungen können einen grossen Einfluss auf unsere Psyche haben – und andersrum

«Einzelne schlechte Nächte oder Phasen von schlechtem Schlaf gehören zum Leben. Sie haben nicht unmittelbar Krankheitscharater. Sich verrückt zu machen, bringt nichts», sagt der Chefarzt. «Anhaltende und schwere Schlafstörungen sind aber ein grosser Risikofaktor für psychische Probleme.» Als Richtwert hilft: Wer über drei Monate lang mindestens dreimal die Woche schlecht einschlafen, durchschlafen oder nicht genügend lange schlafen kann, leidet vielleicht unter der häufigsten Schlafstörung: der Insomnie.

Schlafstörungen wie Insomnie oder auch Apnoe machen Menschen risikofreudiger, reizbarer und unkonzentrierter. Mehr noch: Sie können sogar Angststörungen, Depressionen oder Süchte auslösen und das Gedächtnis beeinträchtigen. «Wir sehen: Psychisch gesunde Menschen mit schweren und chronischen Schlafstörungen laufen fünf bis zehn Jahre später ein rund doppelt so hohes Risiko, an einer Depression zu erkranken.» Auch von einer Depression geheilte Patienten mit Schlafstörungen laufen ein höheres Risiko, erneut zu erkranken. Das zeigt: Schlafstörungen sind mehr als bloss ein lästiges und häufiges Symptom psychischer Probleme wie lange angenommen. Sie können auch selbst Auslöser für solche Erkrankungen sein. 

Dies ist wertvolles Wissen für Diagnostik und Therapie, um psychische Erkrankungen frühzeitig zu verhindern, zu erkennen oder zu behandeln. «In den letzten Jahren hat man erkannt, dass Schlaf ein wichtiger Parameter für Gesundheit ist, der besondere Behandlung benötigt», so Nissen. Und: Erste Forschungsarbeiten zeigen, dass man – neben der klassischen Behandlung – auch durch Schlaftraining eine psychische Erkrankung verbessern kann. 

«Einzelne schlechte Nächte oder Phasen von schlechtem Schlaf gehören zum Leben dazu. Anhaltende Schlafstörungen sind aber ein grosser Risikofaktor für psychische Probleme.»
Schlafforscher und Psychiater Christoph Nissen

Fakt 2: Im Schlaf misten wir unser Gehirn aus 

Warum aber hält uns der Schlaf gesund? «Die Funktionen des Schlafs sind erstaunlicherweise nach wie vor relativ unbekannt. Und das obwohl wir ein Drittel unseres Lebens schlafen. Wir zahlen damit einen sehr hohen Preis, es muss sich also um eine lebenswichtige Funktion handeln», sagt Nissen. «Ansonsten hätte die Evolution einen grossen Fehler gemacht.»

Hierzu gibt es zwei Hypothesen: Zum einen soll Schlaf wichtig sein für die sogenannte neuronale Plastizität, also die Anpassungsfähigkeit und Veränderbarkeit von Synapsen, Nervenzellen oder ganzen Hirnarealen. Sie ist die Grundlage für alles Lernen. Da sich jeden Tag sehr viele Nervenzellen neu verknüpfen, muss auch wieder «ausgemistet» werden, um neue Kapazität zu schaffen. Das bedeutet: Relevante Synapsen bleiben erhalten und werden gestärkt, Wichtiges also im Gedächtnis verankert. Unwichtiges fliegt raus. Dieses Ausmisten soll besonders während des Tiefschlafs passieren. 

Zum anderen müssen schädliche Stoffwechselprodukte, die tagsüber bei der Aktivität im Gehirn anfallen, abtransportiert werden. Diese Reinigung soll mehrheitlich im Schlaf passieren. Ist dieser gestört, werden die lebenswichtigen Prozesse im Gehirn behindert. 

Interessant ist: Bei depressiven Menschen scheinen die Vorgänge, die während des Schlummerns stattfinden, verändert zu sein. «Als gesunder Mensch fühlt man sich nach Schlafentzug abgeschlagen. Bei Depressionen stellt man Umgekehrtes fest: Eine Nacht ohne Schlaf kann zu eindrucksvollen Effekten am Folgetag führen und die Symptome der Depression stark mildern», so der Facharzt. Das Problem beim Schlafentzug als Therapieform sei aber, dass die Patienten oft wieder in die Depression zurückfielen, sobald sie den Schlaf aufholten. Der Schlaf macht sie quasi wieder krank. «Wissenschaftlich ist das interessant, weil man den Zustand der Depression innerhalb von Stunden stark verbessern kann. Die Verknüpfungsstärke der Nervenzellen scheint bei Depressionen gemindert zu sein und wird durch den Schlafentzug vermutlich vorübergehend normalisiert.» 

Fakt 3: Schlaf ist nicht gleich Schlaf

«Schlafen kann man, wenn man tot ist», sagen die einen. Andere verbringen den ganzen Sonntag am liebsten im Bett. Doch wie viel Schlaf braucht der Mensch? Und: Kann man sogar zu viel schlafen? «Schlaf ist individuell», erklärt Nissen. «Insbesondere der Schlafbedarf ist sehr unterschiedlich.» Die berühmten acht Stunden, von denen man oft lese, seien Quatsch. Stattdessen lägen fünf bis zehn Stunden bei einem gesunden Menschen im normalen Bereich. «Wer nur fünf Stunden Schlaf braucht, liegt vielleicht drei Stunden wach im Bett, ärgert sich, dass er nicht acht Stunden schlafen, kann und entwickelt deswegen womöglich noch eine Schlafstörung.» Und: Wer sich oft im Bett wälze, döse oder mit Unterbrüchen schlafe, baue zu wenig Schlafdruck für die Nacht auf.

Manche kontrollieren deshalb ihren Schlaf mit Tracking-Uhren, um ein klareres Bild über ihre Nachtruhe zu erhalten. Was bringt’s? «Der Aktivitätsrhythmus zwischen Bewegung und Ruhe lässt sich gut tracken. Das bringt aber nichts, wenn man sich morgens unausgeschlafen fühlt. Die Uhren geben kein genaues Bild ab.» Denn die Geräte zeigen zwar den Schlaf an, aber nicht, ob einzelne Regionen im Gehirn überaktiv sind. «Eine relativ neue Erkenntnis ist, dass einzelne Areale im Gehirn wach bleiben, obwohl man tief zu schlafen scheint. Wichtig zu wissen ist, dass das eigene Empfinden mit dem aufgezeichneten Schlaf nicht übereinstimmen muss.» Bildgebende Verfahren in der Forschung geben dann ein klareres Bild ab. 

Schlafhygiene: Tipps für einen gesunden Schlaf

Dank der sogenannten Schlafhygiene lässt sich der Schlaf in Eigenregie verbessern. Chefarzt Nissen stellt aber klar: «Wichtig ist, dass man den Begriff nicht missversteht: Es ist nicht unhygienisch, abends Kaffee zu trinken oder noch spät Sport zu machen.» Vielmehr handle es sich um Ratschläge für einen gesunden Schlaf, die helfen können. Vor allem im Alter kann Schlafhygiene sinnvoll sein, da ältere Menschen oft viel Zeit allein, in Ruhe und drinnen verbringen. 

1. Bettzeit verkürzen und Schlaf für die Nacht aufheben
Wie kann ich schnell einschlafen, vor allem wenn ich nicht müde bin? Der wichtigste Tipp bei gestörtem Schlaf ist, die Bettzeit auf die Dauer zu beschränken, die man tatsächlich schläft. Wer zu viel Zeit im Bett verbringt, döst eher und baut nicht genügend Schlafdruck für den tatsächlichen Tiefschlaf auf. Dazu ist es wichtig, herauszufinden, wie viel Schlaf man überhaupt benötigt. «Präzise messbar ist die individuelle Schlafdauer nicht», so der Arzt. «Aber man kann sich beobachten und Erfahrung sammeln. Wie lange schläft man in Zeiten, in denen man weniger soziale und berufliche Verpflichtungen hat? Etwa in den Ferien?» Ein Schlaftagebuch kann helfen, sich einen Überblick zu verschaffen. Auch lange Mittagsschläfchen auf dem Sofa sind übrigens kontraproduktiv und verringern den Schlafdruck, den man über den Tag aufbauen soll. 

2. Schlaffenster anpassen und zu regelmässigen Zeiten schlafen
Der zweitwichtigste Tipp für einen gesunden Schlaf: die Ruhezeit dem eigenen sogenannten Chronotyp anpassen. Es gilt also herauszufinden, wann man am besten schläft. «Es gibt tatsächlich Frühtypen und Spättypen. Wenn möglich, sollte man sein Schlaffenster dem eigenen Typ anpassen.» Vielleicht schlafe ich also von 22 bis 4 Uhr am besten oder von 1 bis 7 Uhr. Nissen spricht gerne von einer «Welle», also dem Schlafdruck, die es zum Surfen oder eben Schlafen braucht. Erwischt man die Welle nicht, klappt es auch mit dem Schlafen nicht richtig. 

3. Wenn möglich auf Medikamente verzichten
«Ein ganz grosses Problem: Auch heute werden immer noch viel zu viele klassische Schlafmittel verschrieben, die stark abhängig machen und schlimme Entzugsprobleme nach sich ziehen», so der Chefarzt. Zudem ist die Schlafqualität mit Schlafmitteln schlechter als ohne. Derzeit entwickelt Nissens Team in Bern das Programm «Werde dein eigener Schlafexperte»: Selbst psychisch schwer kranke Patienten sollen so ihren Schlaf verbessern können. In der Gruppe werden die optimalen Schlaffenster und -zeiten eruiert und dann mithilfe des klinischen Teams, einer App oder eines Tagebuchs umgesetzt. Ziel ist, das Programm in Kliniken oder beim Arzt verschreiben lassen zu können, ähnlich wie einen Verbandswechsel oder ein Medikament.

4. Psychische Erkrankung behandeln lassen
Wer den Verdacht hat, unter einer Depression oder einer anderen psychischen Erkrankung zu leiden, sollte sich unbedingt ärztliche Unterstützung holen. Schlechter Schlaf kann ein Symptom sein, das wieder verschwindet, sobald sich die eigentliche Krankheit bessert.

5. Die unterstützenden Faktoren der Schlafhygiene
Um sich richtig müde zu machen, ist ein aktiver Tag wichtig. Sport, Bewegung und positive soziale Kontakte helfen zudem gegen Stress. Viel Tageslicht gibt dem Körper die richtigen Signale, und sobald es eindunkelt, werden wir müde. Auch die Schlafumgebung sollte angenehm und nicht zu warm sein: Als ideal gelten Temperaturen zwischen 16 und 18 Grad. Zudem verabschiedet man sich am besten bewusst mit einem Ritual von der Arbeit. Um Stress wirklich vom Schlafzimmer fernzuhalten, ist der Laptop im Bett tabu. Auch sonst sollten elektronische Geräte wie ein Fernseher eher im Wohnzimmer stehen. Ein Glas Rotwein eignet sich als Schlummertrunk nur bedingt. Zwar lässt er einen schneller einschlafen, die Nacht wird dann aber unruhiger. Auch durch Nikotin nimmt die Schlafqualität ab. Und obwohl soziale Kontakte empfehlenswert sind: Auf das üppige Festessen am Abend und den Kaffee danach verzichtet man besser. 

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