Epigenetik: Wie der Lebensstil die Gene beeinflusst

Wie viel Einfluss haben wir auf unsere Gene? Und wie prägen Lebensstil und Umwelt die Gesundheit, den Charakter und die körperlichen Eigenschaften? Die Epigenetik liefert Antworten.

Text: Jocelyn Itten

Bilder: Sanitas

03.09.2025

Die blauen Augen vom Vater geerbt, das krause Haar der Mutter, und auch der Laufstil ähnelt dieser. Zwischen Eltern und Kindern liegt in den meisten Fällen eine starke Ähnlichkeit vor. Dies ist den Genen zu verdanken, die bei der Zeugung hälftig vom Spermium und der Eizelle weitergegeben werden.

Doch dieser genetische Code, die DNA, ist nicht allein für unsere körperlichen Eigenschaften und unsere Charakterzüge verantwortlich.

Der Mensch wird auch vom Umfeld und vom Lebensstil geprägt; von dem, was wir essen und trinken, den sozialen Beziehungen, den Gefühlen oder einschneidenden Erfahrungen, insbesondere wenn sie traumatisch sind.

Epigenetik einfach erklärt

Genau hier kommt die Epigenetik ins Spiel. Epigenetik ist ein Forschungsbereich, der untersucht, wie der Lebensstil und die Umgebung unsere Gene beeinflussen können – ohne diese tatsächlich zu verändern.

Genom und Epigenom: Was ist der Unterschied?

Das Genom (DNA) ist für die Übertragung angeborener Eigenschaften zuständig. Und entscheidet etwa, ob jemand ein markantes Kinn hat und gross gewachsen ist. Die DNA ist weitestgehend unveränderlich und verfügt nur über begrenzte Reparaturfähigkeiten, wenn sie etwa durch Mutationen modifiziert oder beschädigt wird.

Im Gegensatz zum statischen Genom ist das Epigenom dynamisch und wird durch Umwelteinflüsse, den Lebensstil und die Psyche verändert.

«Man kann es anhand eines Computers erklären», sagt Isabelle Mansuy, Professorin für Neuroepigenetik an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich und am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich. «Die Festplatte ist die Genetik oder der genetische Code, die Epigenetik ist die Software, die es ermöglicht, den Code zu lesen und zu interpretieren.»

«Wir können mit unserem Lebensstil bis zu einem gewissen Teil steuern, wie unsere Gene aktiviert oder deaktiviert werden.»

Isabelle Mansuy, Professorin für Neuroepigenetik

Was beeinflusst die Epigenetik?

Das Epigenom ist dynamisch, modulierbar und teils auch korrigierbar. Jeder Mensch besitzt unendlich viele epigenetische Markierungen, die sich immer wieder verändern – im Moment und längerfristig. Welcher Teil des Epigenoms sich genau und wie stark verändert, ist schwierig zu sagen.

Ein Beispiel: Zwillinge, die aus einer Eizelle gewachsen sind, also eine identische DNA haben, können sich charakterlich, körperlich und psychisch trotzdem stark unterscheiden. Ein Zwilling kann im Verlauf seines Lebens etwa übergewichtig werden oder eine Schizophrenie entwickeln, während dies beim anderen nicht passiert.

«Wir können mit unserem Lebensstil bis zu einem gewissen Teil steuern, wie unsere Gene aktiviert oder deaktiviert werden. Die DNA-Sequenz der Gene selbst können wir aber nicht ändern, abgesehen von der Exposition gegenüber UV-Strahlung, Röntgenstrahlen oder Karzinogenen», sagt Isabelle Mansuy.

Was heisst das konkret für die Gesundheit?

Aus biologischer Sicht kann ein ungesunder Lebensstil gravierende Folgen haben; Zellen können beschädigt werden, teils irreparabel. Krankheiten wie Krebs, Diabetes oder auch psychische Erkrankungen können dadurch begünstigt werden.

Die Gesamtheit der individuellen Umweltfaktoren, aber auch das genetische Rucksäckchen, das man mit sich trägt, kann eine Auswirkung darauf haben, wie krankheitsanfällig man ist und wie lange man lebt.

Direkte Auswirkungen etwa bei der Einnahme von Lebensmitteln können schnell registriert werden. «Isst man Hamburger, werden die Blutzellen und die Bauchspeicheldrüse sofort aktiv, da sie direkt auf Nahrung reagieren», sagt die Neuroepigenetikerin.

Das Epigenom, das diese Zellen aktiviert, wird sich wieder erholen. Wenn Sie sich aber andauernd nur von Burger ernähren, kann es unter Umständen negative Auswirkungen auf Ihre Gesundheit haben. «Eine ungesunde Ernährung kann langfristig mehrere Zellarten wie Gehirnzellen, Blutzellen und auch Keimzellen beeinflussen», so Mansuy.

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Gibt es eine epigenetische Vererbung?

«In der Vergangenheit haben viele Leute behauptet, dass epigenetische Markierungen nicht weitergegeben werden, weil sie in den frühen Schritten der embryonalen Entwicklung gelöscht werden. Doch das stimmt nicht», sagt Isabelle Mansuy.

So wie genetische Codes von Sperma und Eizellen vererbt werden, so werden auch epigenetische Faktoren auf die Nachkommen übertragen. Was genau behalten, übertragen, verloren oder verdoppelt wird, konnte man bei Menschen jedoch noch nicht erforschen.

Was unsere Eltern oder gar unsere Grosseltern gegessen haben, welchen psychologischen und sozialen Umständen sie ausgesetzt waren, wie gestresst sie waren und so weiter, prägt ihr Epigenom und kann sich auf die nächste Generation auswirken. Dies konnte bei der Forschung mit Labormäusen festgestellt werden.

Können Traumata vererbt werden?

«Nicht die Traumata selbst können vererbt werden, sondern ihre Auswirkungen», erklärt die Professorin. «Lange hat man nach einem Gen, das Depressionen oder eine Borderline-Persönlichkeitsstörung begünstigt, gesucht. Niemand konnte es identifizieren, da es das eine Gen nicht gibt, sondern es sich um eine Kombination aus genetischer Veranlagung und Umweltfaktoren handelt.»

Man muss jedoch in Betracht ziehen, dass es Mechanismen gibt, die die Übertragung einiger Signale eines frühen Traumas auf die nächste Generation ermöglichen können. Das kann eine Kriegserfahrung sein, aber auch eine gewalttätige Umgebung oder Familie, emotionale, verbale oder sexuelle Gewalt.

Dies konnte man bei Versuchen mit Labormäusen für Risikoverhalten durch Väter bis zur fünften Generation nachweisen. Bei Menschen ist es natürlich um einiges komplizierter und nicht abschliessend erforscht.

«Bei Männern, die in ihrer Kindheit traumatisiert wurden, konnten wir einige vergleichbare epigenetische Veränderungen finden wie bei Mäusen», sagt die Epigenetikerin. Depressivität, Angst oder Phobie können von den Eltern geerbt, aber auch auf sozialem oder kulturellem Weg erworben werden. Die Übertragungswege sind mannigfaltig.

Stressige oder traumatische Erfahrungen können sich positiv oder negativ auswirken. Man kann aus einer stressigen Situation auch widerstandsfähiger und resilienter hervorgehen. «Wenn wir etwa positiv gestresst sein müssen, zum Beispiel bei einer Prüfung, mobilisiert das Energie aus dem Gehirn, setzt Glukose frei und kann so die Aufmerksamkeit, die kognitive Wachsamkeit und das Gedächtnis steigern», sagt Isabelle Mansuy.

«Nicht die Traumata selbst können vererbt werden, sondern ihre Auswirkungen.»

Isabelle Mansuy, Professorin für Neuroepigenetik

Kann man die Epigenetik positiv beeinflussen?

  • Ernährung

    Ernährung spielt eine zentrale Rolle für einen gesunden Lebensstil, unser Mikrobiom und auch für die Epigenetik. Mit der Nahrung liefern wir wichtige Nährstoffe für die Zellfunktion und den ganzen Organismus. Doch was genau und wie viel davon muss man essen, damit man seine Gene positiv beeinflussen kann?

    Eine spezifische «epigenetische Diät» mit konkreten Anweisungen gibt es nicht. Studien belegen jedoch, dass bestimmte Nährstoffe, Vitamine und Aminosäuren epigenetische Mechanismen fördern können. Vor allem Vitamin A1, B2, B6, B9, B12, aber auch Cholin und Betain sowie Mineralstoffe wie Zink und Magnesium sind wichtige Treiber der DNA-Methylierung (epigenetische Modifikation).

    Im Grunde gilt die mediterrane Kost mit frischem (Bio-)Obst und -Gemüse, Getreide, Hülsenfrüchten, Nüssen, Fisch und guten Fetten (Omega-3-Fettsäuren) als gute Basis für eine gesunde Ernährung und zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Verringerung des Krebs- und Diabetes-Risikos sowie für eine allgemein höhere Lebenserwartung.

    Zusätzlich wird eine genügsame, kalorienreduzierte Ernährung empfohlen, da sie sich positiv auf die Aktivierung gewisser Gene auswirken kann.

    Die wichtigsten Vitamine und Mineralstoffe

    • Folsäure (Vitamin B9): ist für die gesunde Entwicklung des Fötus vor und während einer Schwangerschaft wichtig und sollte deshalb genügend über die Nahrung oder als Supplement eingenommen werden. Folsäurehaltige Lebensmittel sind etwa diverse Blattgemüse wie Spinat, Hülsenfrüchte, Sojabohnen, weisse Bohnen, Vollkornbrot, Weizenkeime, Rosenkohl, Broccoli, Blumenkohl, aber auch Obst wie Erdbeeren, Tomaten oder Äpfel.
    • Vitamin B12: ist vor allem in tierischen Produkten enthalten; Eiern, Fleisch, Fisch, Milchprodukten. Bei veganer Ernährung sollte das Vitamin B12 supplementiert werden. B12 ist wichtig bei der Blutbildung und für die Entwicklung sowie die Funktionsfähigkeit des zentralen und peripheren Nervensystems.
    • Methionin: eine der neun essenziellen Aminosäuren, die der Mensch nicht selbst bilden kann. Sie kommt in allen proteinhaltigen (pflanzlichen und tierischen) Nahrungsmitteln vor. Einige gute Quellen sind: Paranüsse, mageres rotes Fleisch, hart gekochte Eier, Fettfische wie Lachs oder Sardinen.
    • Antioxidantien: schützen den Körper vor freien Radikalen und können Zellschädigung verhindern. Früchte wie Himbeeren und Brombeeren gelten als gut.
  • Bewegung

    Gesundheit und Bewegung sind klar miteinander verbunden. Regelmässige physische Betätigung hat einen positiven Effekt auf die Genexpression. Sie kann sowohl die Muskelzellen (Aufbau und Regeneration) als auch die Fettzellen sowie den Stoffwechsel positiv beeinflussen und die Dopaminausschüttung im Gehirn aktivieren. Wenn auch nur kurzfristig.

    Bereits bei kurzer Aktivität produziert der Körper wichtige Proteine, die noch Stunden oder Tage später ihre Wirkung zeigen. Sowohl bei der Ernährung als auch beim Sport gilt die Zauberformel: Regelmässigkeit, Gewohnheit und Konsistenz machen den Unterschied.

  • Stressabbau

    Diverse Studien belegen, dass Stress sich negativ auf unser Wohlbefinden und längerfristig auch auf die Gesundheit auswirken kann. Er kann Herzkrankheiten, Verhaltensprobleme oder auch psychische Leiden fördern oder verstärken.

    Beruhigende Aktivitäten, wie etwa Meditation oder das Hören von (klassischer) Musik, haben Studien zufolge eine positive Bilanz auf das Ein- oder Ausschalten der Gene und fördern entzündungshemmende Mechanismen. Veränderungen sind sofort spürbar, wenn auch nur vorübergehend. Die positiven Effekte können aber mit einem regelmässigen Training länger anhalten.

  • Giftstoffe

    Alkohol, Rauchen und Pestizide sollte man möglichst vermeiden. Giftstoffe können sich negativ auf die Zellaktivität auswirken und zu irreparablen Zellveränderungen führen.

  • Soziale Beziehungen

    Nicht zu vernachlässigen sind die sozialen Beziehungen. Positive Zusammentreffen können die Ausschüttung von Hormonen wie Oxytocin und Vasopressin fördern, sogenannte «prosoziale» Moleküle, die Stress- und Angstzustände reduzieren.

    Besonders in den ersten Lebensjahren sind gute Bindungen wichtig, um sich (psychisch) gesund zu entfalten.

Wie kann die Epigenetik bei Behandlungen helfen?

Bei den meisten komplexen Krankheiten wie psychischen Störungen, Autoimmun- oder Stoffwechselerkrankungen oder bestimmten Formen von Krebs geht man davon aus, dass sie unterschiedliche Ursachen haben und aus einer Kombination von genetischer Veranlagung und der Exposition durch Umweltfaktoren entstehen.

Die Epigenetik ist keine Behandlungsmethode und will nicht etwa die Psychiatrie revolutionieren, jedoch kann sie eine neue Perspektive auf die Erkrankung sowie therapeutische Massnahmen geben.

«Zum Beispiel: Eine junge Frau fühlt sich wegen ihrer Despression schuldig und sucht die Gründe dafür bei sich selbst. Dann kann das Wissen, dass sie epigenetische Veränderungen von den Eltern geerbt hat, helfen, sich weniger schuldig zu fühlen», so Mansuy.

Können Medikamente das Epigenom positiv stimulieren?

«Das Epigenom ist sehr komplex und schwer zu fassen, da es sich ständig ändert», sagt Isabelle Mansuy. Man weiss jedoch noch nicht genau, in welchem Umfang und in welcher Geschwindigkeit die Veränderung geschieht. Ausserdem sei es schwierig, individuelle Prognosen zur Behandlung von Krankheiten zu machen.

Es gibt jedoch Medikamente, die in der Krebstherapie eingesetzt werden. «Bei Tumoren etwa, bei denen die Mehrheit der Zellen eine epigenetische Veränderung aufweisen», erklärt die Expertin.

Und nennt als Beipiel: «Bei einer Hypermethylierung bestimmter Gene – einer übermässigen Anlagerung von Methylgruppen an die DNA – kann man ein Medikament einsetzen, das diese Veränderungen beseitigen oder verhinderen kann.»

Welche Kosten übernimmt die Krankenkasse für Prävention?

In der Schweiz übernimmt die Grundversicherung eine ganze Reihe an Massnahmen zur Früherkennung von Krankheiten. Zum Beispiel:

  • bei erhöhtem familiären Risiko: Vorsorgeuntersuchungen wie Darmspiegelung oder Mammografie
  • regelmässige Entwicklungskontrollen bei Kindern
  • diverse Imfpungen

Zusatzversicherungen übernehmen – abhängig vom gewählten Modell – weitere Kosten in Sachen Prävention. Beispielsweise für Bewegung, Ernährungsberatung oder eine starke Psyche. Hier erfahren Sie, welche Kosten Sanitas übernimmt.

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