Interview mit Catherine Sutter, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin

Im Alltag auf der Kindernotfallstation hat die Digitalisierung vieles vereinfacht: Das schnelle Verschicken von Bildern und Filmen vereinfacht die Diagnosemöglichkeiten. Doch für einen sicheren Umgang mit diesen Daten bedarf es entsprechender digitaler Infrastrukturen in den Spitälern und einen reflektierten Umgang mit dem Handy. 

Frau Sutter, welche Rolle spielt die Digitalisierung im Kontext der Kinder- und Jugendmedizin?

Vieles hat sich verändert. Vor allem machen viele kleine Dinge die Praxis einfacher: So ist ein vergessener Impfausweis kein Problem mehr, man kann ihn einfach abfotografieren. Bei unklaren Symptomen wie beispielsweise Krampfanfällen bei Kindern kann man den Eltern sagen: «Filmen Sie es doch!» Doch damit einher geht auch das grosse Thema «Datenschutz». Es gibt nur wenige Secure-E-Mail-Möglichkeiten, viele Eltern schicken Bilder auch einfach per SMS. Und bei allen praktischen Vorteilen: Es sind die Daten eines Kindes, und das kann sich nicht äussern. Im Spital richten wir uns grundsätzlich nach dem Vorgehen der Eltern – doch was tun, wenn wir das Gefühl haben, das Kind will etwas anderes? Ich muss auch Anwältin des Kindes sein. Es sind Gratwanderungen in der Pädiatrie. 

Wie geht man damit im Spital um?

Zumindest habe ich als Ärztin in leitender Funktion ein Spital-Telefon und kann so sicherstellen, dass die Fotos nicht in irgendeiner Cloud landen. Das haben aber lange nicht alle, und in Notfallsituationen macht man halt auch mal ein Foto mit seinem privaten Handy. Mit guter Infrastruktur und Apps könnte das einfacher gestaltet werden. Daran arbeiten wir im Kantonsspital Winterthur: Bei der Implementierung des neuen Klinikinformationssystems haben wir von Anfang an gesagt: Wir brauchen Smartphones auf der Notfallstation, wir brauchen Apps, die Fotos direkt in die Krankenakte des Patienten einlesen können. Das kommt. 

Zum Thema Mental Health und Digitalisierung: Ist das ein Thema bei Ihnen im Spital und der Kindernotfallaufnahme?

Ich habe das Gefühl, dass die Digitalisierung für die Jugendlichen ein ziemlicher Stress ist. Sie haben das Handy immer in der Hand, sie können nicht mehr loslassen. Eine Unruhe, die man spürt. Viele Kinder sind sich von klein auf gewohnt, dass das Handy beruhigt. Es ist ein schwieriges Thema – gerade, weil wir auf dem Notfall manchmal extrem froh sind, wenn sich ein Kind beruhigt und wir es dann behandeln können. Kinder, die psychische Probleme haben durch zu viel Handy-Nutzung sind vor allem ein Thema in der Kinder- und Jugendpsychiatrie – aber dennoch landen die manchmal zuerst bei uns auf dem Notfall. Wenn die Situation zu Hause eskaliert, wenn Eltern den Fernseher oder das Internet abstellen. Den richtigen erzieherischen Weg zu finden im Umgang mit digitalen Möglichkeiten, gerade bei Kindern mit Vorerkrankungen wie ADHS, ist ein extrem schwieriges Unterfangen. Zum Glück sind wir aber in der Schweiz noch in einer Situation, in der man sozial gut aufgefangen wird.

Dr. med. Catherine Sutter ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin und spezialisiert auf Kindernotfallmedizin. Sie leitet die Kindernotfallstation am Kantonsspital Winterthur. Solidarität bedeutet für sie vor allem gleiche Behandlungschancen für alle, egal, was für eine Versicherung jemand hat.