Interview mit Patrick Dümmler, Experte für e-Health

Trotz wachsendem Angebot werden mHealth Apps in der Schweiz noch kaum rückvergütet – braucht es neue Ansätze, um sich der bietenden Chancen für das Schweizer Gesundheitswesen bewusst zu werden? Im Vergleich zu anderen Ländern gibt es zumindest noch einiges aufzuholen.

Herr Dümmler, wie ist die rechtliche Regelung in der Schweiz für die mHealth Vergütung?

Die Hürden sind noch zahlreicher als in Deutschland. Um als Gesundheitsprodukt über die Krankenkassen vergütet zu werden, muss die Bewertung des medizinischen Mehrwerts den WZW-Kriterien (den drei Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit) standhalten können, was der Natur dieser Apps nicht immer gerecht wird. Real-World-Daten, das heisst Daten aus dem Gesundheitsalltag, würden mehr Aufschluss über den Nutzen der Anwendungen geben. Das System der Mittel- und Gegenständeliste (MiGeL) könnte durch eine zusätzliche Kategorie für mHealth Apps flexibler ausgestaltet werden. Erfahrungen anderer Länder sollten als Referenzpunkt genommen und weitergedacht werden. 

Wie viele Tools werden bereits vergütet und wo liegt das Potential?

In der Schweiz sind es gerade mal eine Handvoll mHealth Apps, die rückvergütet werden. Zusatzversicherungen könnten sich als guter «Entry-Point» eignen: Die Rückvergütung der Apps kann als Differenzierungsmerkmal genutzt und gleichzeitig können damit Real-World-Daten gewonnen werden. Um wirklich die Kosten zu dämpfen und die Qualität zu stärken, müssten die Anwender wohl geschult werden, so dass die Nutzung der Apps die Therapieergebnisse effektiv verbessert.

Über wie viele heute verfügbare mHealth Apps sprechen wir?

Wir befinden uns noch am Anfang. Auf dem globalen Markt geht man momentan – je nach Abgrenzung – von 300'000 mHealth Apps aus, davon verfügen über 250 ein FDA-Zertifikat (dem Zertifikat der amerikanischen Zulassungsbehörde). Das sind nicht viele – sie gewinnen aber an Relevanz: Die technologische Entwicklung ermöglicht immer mehr Nutzungsmöglichkeiten für mHealth Apps und kann somit künftig einen Mehrwert für unser Gesundheitswesen generieren. 

Wie kann die Balance zwischen Wettbewerb und staatlicher Steuerung im Schweizer Gesundheitssystem zukünftig gehalten werden? 

Die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Wettbewerb und staatlicher Steuerung im Gesundheitswesen ist ein komplexes Thema. Generell sollten wir den Wettbewerb und die Transparenz fördern, um Kosten zu senken und die Qualität der Versorgung zu verbessern. Gleichzeitig sollten Hürden abgebaut werden, um neue Technologien und Behandlungsmethoden rascher anwenden zu dürfen. 

Was bedeutet für Sie Solidarität im digitalen Gesundheitswesen?

Ein auf immer mehr digitalen Prozessen und Daten beruhendes Gesundheitswesen nimmt die Patienten stärker in die Verantwortung, gleichzeitig stellt es sicher, dass niemand aufgrund des sozioökonomischen Status vom Zugang zu den Leistungen ausgeschlossen wird. 

Dr. Patrick Dümmler, Senior Fellow und Forschungsleiter Offene Schweiz, Avenir Suisse.